Filmgeschichte im Plauderton

■ Die Ufa – ein Filmroman. Über eine Monographie von Hans Borgelt

Eldorado für Künstler und Publikum, Versprechen und Trugbild, Star-Land, Hort der Tradition und deutsche Avantgarde – zugleich Macht- und Manipulationszentrale zum Beispiel im Dienst der Nazis; dann wieder Zufluchtsort der „inneren Emigration“. Zwei Gesichter eines Filmkonzerns, voller Widersprüche und Unschärfen. In der Geschichte der Ufa spiegelt sich die Kultur- und Sozialgeschichte eines Jahrhunderts – vom Ersten Weltkrieg bis in die sechziger Jahre.

Nach der Bücherflut zum 75jährigen Jubiläum erschien nun „Die UfA – ein Traum“ von dem Berliner Autor Hans Borgelt, das im Untertitel auch die Geschichte von „100 Jahren deutscher Film“ ankündigt.

„Vorbei, vorbei! Die Entwicklung nahm und nimmt andere Wege. Dort, wo die schönen Straßen jetzt, wie amputiert, enden, den Sumpf von Feld und Wiese überwachsen, breitet sich, die Stadt peripherisch umzingelnd und immer mehr nach innen drängend, eine romantische Zone, Burgen, Schlösser, verfallene Städte, Moscheen und Renaissancepaläste, Osterien, Ruinen, phantastische Gebirgsformationen, ägyptische, pragerische, indische Land- und Stadtlandschaften. Es sind, Zelt an Zelt gereiht, die Heerlager der Afa, Befa, Cefa, Defa, Efa usw. Täglich drängen neue kinotische Scharen heran, und bald wird das deutsche Alphabet gestreckt werden müssen.“ So Alfred Polgar 1922 in einem von Borgelt zitierten Feuilleton.

Hans Borgelt ist ein routinierter und gewiefter Erzähler; er kennt seinen Gegenstand, den er schon in früheren Büchern immer wieder umkreist hat. Er ist ein Flaneur der Filmgeschichte, der sich gerne auf den breiten Boulevards aufhält, sich aber auch nicht scheut, die Nebenstraßen und abseits gelegenen Gassen zu betreten. In seinem Vorwort schreibt er: „Hundert Jahre Film. Hundert Jahre erfüllter Menschheitstraum. Warum ist die Ufa, eine Fabrik von Träumen, selbst ein Traum? Weil es ein einziges Mal in der Filmgeschichte das gegeben hat, wovon Filmemacher träumen: Unabhängigkeit des Schaffens, Selbständigkeit, Entscheidungsfreiheit.“ Über diese Prämisse ließe sich gut streiten, und Borgelt relativiert seine Hymne auch. Er verschweigt den Machtapparat hinter dem auratischen Glanz nicht. Er erzählt auch, daß die Chronik der Ufa eine Kriegsgeschichte beinhaltet. Denn am 4. Juli 1917 unterschrieb der Generalquartiersmeister Erich Ludendorff ein Memorandum, in dem „die Vereinheitlichung der deutschen Filmindustrie“ gefordert wird, „um nach einheitlichen großen Gesichtspunkten eine planmäßige und nachdrückliche Beeinflussung der großen Massen im staatlichen Interesse zu erzielen“.

Dieses Memorandum gilt heute als offizielles Gründungsdokument der Universum-Film AG, der Ufa also. Und am Ende dieser Kriegsgeschichte steht die Aufführung des Durchhaltefilms „Kolberg“, am 30. Januar 1945, in der Atlantikfestung La Rochelle. Borgelt wählt eine Struktur, für die einiges spricht. Das Faktische teilt er in Übersichtskapiteln mit; und dann leistet er sich Großaufnahmen – von einzelnen Schauspieler- oder Regisseurbiographien, von einzelnen Filmen, Genres auch, und Ereignissen. Diese Zwischenbetrachtungen sind oft persönlich gehalten, anekdotisch und manchmal bloße Schnurren – was nicht unbedingt falsch sein muß. So entfaltet Borgelt, in den Ereignissen und Zahlen korrekt, in den analytischen Überlegungen ohne Überraschungen und im erzählerischen Ton gediegen, manchmal amüsant und auch gedankenverloren einen Filmroman.

Eine Kostprobe: „Joe war nicht mehr jung, hatte, wie andere auch, sich in der Textilbranche umgesehen, dann Autos verkauft, nach eigenen Angaben einen Rennstall besessen und fühlte sich nunmehr berufen, den Film zu beglücken. Vor allem aber war Joe May der Mann seiner Frau Mia, einer blonden Diva, die trotz zunehmender körperlicher Fülle sich nicht ausreden ließ, in den künftigen Filmen ihres Mannes die Hauptrollen zu spielen, am liebsten jene der verfolgten Unschuld und liebenden Unbeirrbarkeit.“

Oder über den Regisseur Karl Ritter, ein exponierter Vertreter des Nazi-Propagandafilms: „Als ich ihn in Buenos Aires kennenlernte, war er 82, von sprühender Vitalität, Oberhaupt eines großen deutsch-argentinischen Familienclans. Er rätselte, weshalb seine 1954 in der Bundesrepublik entstandenen Spielfilme ,Staatsanwältin Corda‘ und ,Ball der Nationen‘ keine Erfolge geworden waren und tröstete sich damit, daß es Veit Harlan, der nach dem Krieg noch (bzw. wieder) neun Filme drehen durfte, kaum besser ergangen sei. Als ich den Namen Goebbels erwähnte, rastete er aus. Goebbels habe ihn gehaßt, ihn nur behindert, seine Arbeit gestört, seine besten Filme durch intrigantes Hineinreden beeinträchtigt, Goebbels sei ein Lehrbeispiel dafür gewesen, daß Propaganda und Kunst nicht zusammenpaßten, nicht zusammenpassen könnten.“

Man muß sich auf diesen plaudernden Gestus einlassen, dieses En-passant-Erzählen, in dem Situationen ausgemalt werden, als habe man sie gerade vor Augen. Die Gefahren der oral history sind lange unterschätzt worden. Aber sie fügen den Namen und Zahlen auch erhellende Momente hinzu, wie auf den Rand der Seite geschrieben. So ist diese Ufa-Chronik, die – was nicht ganz einleuchtet – auch die Geschichte von hundert Jahren Film in Deutschland erzählen will, ein sehr persönliches Buch, voller Emotion und sentimentalem Erinnern, sympathisch in seiner Zuneigung und Aufmerksamkeit dem Film und seiner Geschichte gegenüber; es ist ganz anders als Kreimeiers „Ufa-Story“, weniger politisch, weniger filmsoziologisch. Es ist eben die Geschichte eines Traumes. Die letzten Sätze des Buches, die sich auf das Vorwort von Volker Schlöndorff beziehen: „Die Ufa – ein Traum? Schlöndorff relativiert immerhin: Ein Traum von einem Traum. Laßt uns weiterträumen.“ Wolfgang Jacobsen

Hans Borgelt: Die Ufa – ein Traum. Berlin: edition q, 1993. 303 Seiten, 49,80 DM.

Wolfgang Jacobsen ist Leiter der Stiftung Deutsche Kinemathek.