Testspiel unter Blinden

■ Länderspiel Mexiko - Deutschland 0:0 / Fußball zum Davonlaufen auf dem von Michael Jackson ramponierten Rasen im ausverkauften Aztekenstadion

Berlin (taz/dpa) – Es waren schon garstige Bedingungen beim Gastspiel der deutschen Fußballer im Aztekenstadion von Mexiko- Stadt. Dünne Luft, unberechenbar flatternde Bälle, ein Rasen wie eine Buckelpiste, ein lächerlich penibler Schiedsrichter, eine etwas kuriose Mannschaftsaufstellung und lauter böswillige Journalisten, die darauf lauerten, ob den markigen fehlenden Worten während des Presseboykotts nun wenigstens einige kühne Taten folgen würden.

Sie folgten nicht, dennoch hatten die Harmoniebeschwörungen von Bundestrainer Berti Vogts Erfolg. Spieler und Coach bemühten sich nach dem Schlußpfiff, das 0:0 ja nicht „schönzureden“ (Lothar Matthäus) und räumten bereitwillig ein, „keine gute Leistung“ (Matthäus), „kein gutes Spiel“ (Maurizio Gaudino und Andreas Möller), „keinen guten Fußball“ (Vogts) gezeigt zu haben. Dafür verfaßten etliche der mitgereisten deutschen Journalisten ihre Artikel diesmal mit Samtpfötchen, um das dünne Nervenkostüm der urlaubsreifen Kicker nicht noch mehr zu belasten. Brav verwiesen sie auf den von einigen Michael- Jackson-Konzerten in besseren Tagen ramponierten Rasen, das unwirtliche Ambiente, die rapiden Klima-, Zeit- und Höhensprünge, denen das deutsche Team auf der Amerikareise ausgesetzt war, ein Aspekt, den auch die Spieler und der Trainer natürlich nicht zu erwähnen vergaßen. Das geht in Ordnung, wiewohl etwa nach dem 2:1 gegen Brasilien in Köln niemand im deutschen Lager auf die Idee kam, den historischen Sieg zu relativieren, nur weil die Brasilianer einen Tag, bevor sie bei Frost im Müngersdorfer Stadion antraten, in Rio bei 40 Grad Hitze ins Flugzeug gestiegen waren.

Wahrlich, es war ein grausames Spiel. Und zwar von beiden Seiten. Bei der 1:2-Niederlage gegen Argentinien in Miami hatten wenigstens die Südamerikaner begeistert gejubelt, auch das 3:0 gegen die USA war ein munteres Match, doch im Aztekenstadion herrschte eine solche fußballerische Tristesse, daß wohl nur die hartgesottene Fußballbegeisterung der Mexikaner verhinderte, daß sämtliche 114.000 Zuschauer das Stadion vorzeitig verließen. Kaum ein Ball landete dort, wo er hin sollte, statt dessen gab es Box-, Tret- und Ringkampfeinlagen in Serie.

Es sei doch kein „Testspiel gegen Blinde“ gewesen, hatte Matthäus nach dem Spiel gegen die USA gewettert und insofern recht gehabt, als es sich eher um ein Match unter Einäugigen gehandelt hatte. Das Testspiel unter Blinden fand nun im Aztekenstadion statt. Enttäuschend vor allem die Mexikaner, die nicht mal die Höhenluft als Entschuldigung anführen können. Trainer Mejia Baron ließ den extra aus Spanien angereisten 35jährigen Hugo Sánchez, der am Sonntag noch zwei Tore für Vallecano gegen Valladolid erzielt hatte, auf der Bank schmoren, so daß vorn nur der trickreiche Zague, der mit Thomas Strunz machte, was er wollte, einen Anflug von Gefährlichkeit versprühte.

Vogts hatte – entgegen seiner Ankündigung, daß es langsam an der Zeit sei, sich für die WM einzuspielen – wieder munter experimentiert. Die bewährten Buchwald und Häßler blieben draußen, ebenso Stefan Kuntz, der gegen die USA ein gutes Debüt gefeiert hatte, aber erst in der 64. Minute Gelegenheit bekam, weitere Spielpraxis zu sammeln. Andreas Möller, der in den vorhergehenden Spielen im Mittelfeld geglänzt hatte, mußte auf einmal zweite Spitze spielen, Effenberg durfte ins Mittelfeld, wo er wie ein Kreisklassenspieler herumholzte, und hinten wechselten sich Sammer und Matthäus als Libero ab, was das deutsche Spiel aber auch nicht beleben konnte. Immerhin war Matthäus in der Defensive überragend und schirmte vor allem den Strunz- Peiniger Zague stets im entscheidenden Moment ab. „Ohne Matthäus hätten die Deutschen verloren“, meinte Baron, was ein wenig übertrieben scheint. Um zu gewinnen, hätten die Mexikaner ja immerhin ein Tor schießen müssen.

Die Abwehrspieler hatten es in diesem Spiel wegen der extremen Ungenauigkeit der Anspiele ziemlich leicht, die Stürmer um so schwerer. Jürgen Klinsmann rieb sich in handgreiflichen Duellen mit seinen Gegenspielern auf, bis er kurz vor einem Platzverweis stand, aber auch die eingewechselten Kuntz und Kirsten konnten Mexikos exzentrischen Torwart Jorge Campos in seinem kleidsamen Strampelanzug nicht in Gefahr bringen. Die beste Chance des Spiels hatte Möller in der 50. Minute, doch nach klugem Klinsmann-Paß versprang ihm allein vor Campos der Ball und er schoß den Torhüter an.

Ansonsten sorgte nur der Feldverweis, den der kanadische Schiedsrichter Sautell für DFB- Teamarzt Heß und Masseur Katzenmaier wegen unerlaubter Behandlung des blutenden Kohler aussprach, für Unterhaltung, die deutschen Fernsehzuschauer hingegen durften sich glücklich schätzen, daß ihnen ein gnädiges Schicksal in Form eines Bildausfalles die letzten Minuten der jämmerlichen Partie ersparte. Matti

Deutschland: Illgner - Matthäus - Kohler, Schulz - Strunz, Effenberg (78. Eilts), Gaudino (54. Häßler), Sammer, Ziege (64. Kuntz), - Möller, Klinsmann (71. Kirsten)

Schiedsrichter: Robert Sautell (Kanada); Zuschauer: 114.000

Mexiko: Campos - Ambrix - Rodriguez, Ramirez Perales - Bernal, Del Olmo, Ramirez (80. Castaneda), Patino (46. Galindo), Aspe (46. Herrera) - Garcia, Zague