piwik no script img

Geschlechtsteile in Armbeugen

■ Aus dem Nachlaß: Spätsurrealismus-Pop mit den DB's und den Softboys

„Some people never amount to much – and some don't amount to any“ (manche Leute bringen's nicht zu viel, andere zu gar nichts), singt Peter Holsapple schelmisch in der Country-Pop-Nummer „Modern Boys & Girls“. Das war 1982, und man könnte rückblickend und vielleicht ein wenig böse schließen, der DB's-Songwriter habe da schon auf (s)eine Band- Karriere angespielt – die eigentlich nie eine war.

Daheim in den USA lange ignoriert, brachte das Gitarren-Quartett aus North Carolina seine „Mischung aus sechziger Ohrwurmigkeit und brandaktueller Bissigkeit“ (O-Ton Musik-Express zum zweiten Album „Repercussion“) erst an ein Label in England, als dort schon längst das Synth- Pop-Fieber grassierte. „Like This“, bereits ohne den zweiten Songwriter Chris Stamey eingespielt, geriet 1984 – im makabren Sinne des Wortes – zur Totgeburt, nachdem der zuständige Labelboss verschied und eine komplizierte Erbfolge alle Aktivitäten lähmte. Schließlich 1987 die Abschiedsvorstellung mit „The Sound Of Music“, einem Album, das eine unfähige Company auf dem Gewissen hat. Glaubt jedenfalls Peter Holsapple: „Sie haben ausgerechnet ,I Lie‘ als erste Single genommen – da hätten wir die Bänder auch gleich in den nächstbesten Fluß werfen können.“

Wenn die frühen Aufnahmen der DB's gleich zur Veröffentlichung gelangt wären, hätte sich „ein anderes Bild der Band“ ergeben, notiert Holsapple jetzt im Booklet zu „Ride The Wild TomTom“, das fast ausschließlich bisher unveröffentlichte Tracks auffährt. Stimmt: 1978/79, als die DB's voller Enthusiasmus im Hinterzimmer der Pop-Postille New York Rocker probten (immer), schliefen (manchmal) und Elvis Costello's „This Year's Model“ verschlangen (öfter), hatte sich die spätere Rollenverteilung innerhalb der Band noch nicht eingespielt – vor allem nicht die zwischen den Polen Stamey und Holsapple (welcher letztere sich damals noch weitgehend als Keyboarder auf einer fiesen Billig-Orgel beschied). So konnten die DB's ihre Stärken noch nicht voll ausspielen, ihre melodische Meisterschaft aber allemal andeuten. Eine Band auf der großen Spielwiese: Da blieb noch vieles fragmentarisch, bloße Momentaufnahme – und scheiterte auch mal sympathisch (etwa der Philly- Soul-Versuch „A Spy In The House Of Love“). Punks aber waren die DB's definitiv nicht: Soviel Selbstironie hätten die nie und nimmer aufgebracht.

1978 oder 1979 lernte die Band auch Geistesverwandte aus Großbritannien kennen. Geistesverwandt deshalb, weil Robyn Hitchcock und seine Softboys, ähnlich den DB's, ohne die Aufbruchstimmung (und Unsicherheit) der Punk-Jahre vielleicht nie ein internationales (wenn auch kleines) Publikum erreicht hätten; aber auch deshalb, weil beide Bands nicht in den Klauen einer „Bewegung“ hängen bleiben wollten, auch wenn sie sich zeitweilig notgedrungen davon mitreißen ließen. „Punk“, sagt Hitchcock jetzt im Booklet zur 2-CD-Softboys-Retrospektive (auch hier Unveröffentlichtes, Rares etc.), „nahm unglücklicherweise den falschen Weg. Denn da war keine Liebe zur Musik, also auch keine Möglichkeit zur Weiterentwicklung.“

Nichts also für einen jungen Mann aus exzentrischem Hause (Hitchcocks Vater schrieb Geschichten, in denen beispielsweise eine Frau einen Reifen gebar und Geschlechtsorgane in Armbeugen versteckt sind...), der Syd Barrett und Captain Beefheart schätzte und seine Band in langen Klausuren dazu verdonnerte, ganze Beatles-Alben (vermutlich eher „Rubber Soul“ als „Please, Please me“) auswendig zu lernen; der viele Klischees auf der großen „Rock'n'Roll Toilet“ (Songtitel) hinunterspülen wollte – und trotzdem noch ein Fünkchen Respekt durchschimmern ließ, wenn er sich „Heartbreak Hotel“ zur Brust nahm; der Songwriting immer als „dreaming in public“ verstand – und der, wenn er wieder aufgewacht war, nicht heiß war auf eindeutige (Be)Deutungen; und der den Tod als „Weihnachtsgeschenk“ bezeichnet, das „niemand vorher auspacken“ könnte.

Auch Hitchcock nicht, der sich später auf seiner Solo-LP „Fegmania“ gar eine bereits gestorbene, aber immer noch gegenwärtige Lebensgefährtin herbeiimaginierte („My Dead Wife And Me“). Noch immer verblüfft die musikalische Imaginationskraft dieser Band, die Hitchcocks Texten kaum nachstand – auch wenn heute mancher Schlenker vielleicht ein wenig maniriert und „dated“ wirkt. Im ansonsten sehr ausführlichen, informativen Booklet geht Autor Bill Holdship wohl zu weit, wenn er die Softboys (in puncto Einfluß auf Folgende) auf einen Thron mit Velvet Underground stellt. Auch versteigt er sich zu dem Schluß, Hitchcock's Death & Sex-Obsession mache ihn zum vorausschauenden Aids-Apostel. Hinterher ist man halt immer schlauer.

Das schönste Denkmal für beide Bands ist sicher der Mainstream-Erfolg von R.E.M. Deren Gitarrist Peter Buck, der sogar mit Hitchcock tourte (bzw. ihn auf einer R.E.M.-Tour „Special Guest“ spielen ließ), hat nie verhehlt, daß die Softboys für seine Band wichtiger waren als beispielsweise die Byrds – eine Ahnenreihe, die ohnehin immer eher Kritiker- Wunschdenken denn musikalische Realität war. Und als R.E.M. schließlich Mega-Seller waren, erinnerten sie sich auch eines anderen Weggefährten, der es nicht so gut getroffen hatte: Peter Holsapple, sieh an, durfte eine zeitlang als quasi fünftes Mitglied den „Billy Preston von R.E.M.“ (Selbsteinschätzung) markieren – und endlich mal in besseren Hotelbetten nächtigen.

Was die prophetischen Gaben angeht, lag er allerdings deutlich schlechter als Robyn Hitchcock: Während die DB's 1982 noch stürmisch „The Death Of Rock“ herbeipoppen wollten – eine Prognose, die heute angesichts aktueller Retro-Rock-Rituale geradezu grotesk wirken muß –, war ihm längst eine andere, leider allzu wahre Einsicht gekommen, die den bunten 38-Song-Reigen passenderweise beschließt und schlicht lautet: „Only The Stones Remain.“ Jörg Feyer

The DB's: „Ride The Wild TomTom“ (Rhino/TIS); The Softboys: „The Softboys 1976-81“ (Rykodisc/Rough Trade).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen