Wider die Politik der Grausamkeit

Kate Millett hat ein Buch über die Folter geschrieben  ■ Von Mechtild Jansen

Berührend und fesselnd sensibilisiert sie in höchstem Maße und radikalisiert das eigene politische Denken und Tun. Kate Millett analysiert in ihrem Buch mit dem programmatischen Titel „Entmenschlicht“ feinfühlig, scharf und aufregend die „Politik der Grausamkeit“, unter deren Bann wir alle stehen. Anhand von Berichten und Bildern reflektiert sie die Folterpraxis unseres Jahrhunderts an Fallbeispielen des stalinistischen Gulags, des Nazi-KZs, der kolonialen Unterdrückung in Algerien, der britischen Herrschaft in Nordirland, des Apartheidsystems in Südafrika, des Mullah-Regimes im Iran, der Diktaturen in Südamerika und im Hinterhof der USA. Die reiche Erkenntnis vermittelnde Arbeit ist die Fortsetzung von „Sexus und Herrschaft“ und „Im Basement“, frühere Untersuchungen der Autorin zu Macht und Dominanz, Unterdrückung und Entsagung, aber auch von Mut und Widerstandsfähigkeit.

Kate Millett treibt um, daß die Folter heute in einem Maß praktiziert wird, das die Welt bisher noch nie gekannt hat, obwohl in der neueren westlichen Geschichte die Abschaffung der Folter in Strafverfahren gelang. Die Folter ist die politische Waffe des Staates gegen das, was der Staat als Subversion betrachtet. Subversion ist abweichende oder gegensätzliche Meinung, Opposition, anders denken, das andere überhaupt. Das Individuum lebt in der Angst vor der Macht des Staates, der sich Gott gleichsetzt. Es hat einen Feind, der alles hört und weiß, selbst aber unerkannt bleibt. Die Angst „durchdringt die Gesellschaft, unabhängig von der herrschenden Regierungsform, da jede Regierung auf Machtzuwachs aus ist und sich immer größere Übergriffe auf ihre Bürger herausnimmt“.

Die Wiederkehr der Folter ist Triumph der Staatsgewalt über die Individualrechte, der schwerer und expansiver wirkt als die Abschaffung der Folter im Kontext der Kriminalität und fundamentale Reformen auf dem Gebiet der Menschenrechte. Folter ist der Ausdruck der absoluten Macht des Staates über den Menschen, sie vernichtet ihn. „Denn der Folter kann nicht widerstanden werden“. Folter macht absolut hilflos. Sie ist ausweglos, weil total. Sie bedeutet totale Einsamkeit angesichts unerträglichen Schmerzes und des Todes. Sie ist Herrschaft durch Furcht, Staatsterrorismus. Jede Akzeptanz staatlicher Herrschaft über das Indidviduum beschleunigt danach die Folter.

Die Folter unterwirft den Geist – das Selbst, den Verstand, den Willen – unter den Körper. Sie vernichtet den Mensch, macht ihn zum Tier, um ihn dann einem langen grausamen Sterben auszusetzen. Der Schriftsteller Primo Levi, der Auschwitz überlebte, erfuhr, „daß unsere Persönlichkeit zerbrechlich ist, daß wir weit mehr in Gefahr sind als unser Leben“. Lebensrettend kann es deshalb sein, die eigene Persönlichkeit zu schützen und Menschlichkeit zu bewahren. Zu den Methoden der Folter gehören Gerissenheit und Täuschung. Die „Brutalität des Plans und die Geschwindigkeit seiner Durchsetzung“ gewährleisten den Erfolg.

Die Folter hat Voraussetzungen: die Konzentration staatlicher Macht, um Kontrolle – zuerst der Ideen und Ideologien, dann der Dinge – herzustellen. Sie geht mit rechtlichen und gesetzlichen Vorbereitungen, immer mit Verfassungsabbau Hand in Hand, um am Ende recht- und schutzlose Wesen übrigzulassen. Der Weg zu den Lagern wird mit legalen Methoden, mit wissenschaftlichen Mitteln, unter Zuhilfenahme insbesondere von Technik und Medizin gebahnt.

Millett arbeitet zwei wichtige Zusammenhänge heraus. Folter ist die Folge der langen Gewohnheit, Kolonisierte zu erniedrigen. Sie drückt ihnen den Stempel des Untermenschen auf – eine „mythische Übersetzung des klaren Sachverhalts, daß der Reichtum der einen auf der Armut der anderen beruht“. Jean-Paul Sartre sprach vom Zusammenspiel von Brutalität und kolonialem Status, „daß sich Kolonisation durch Vernichtung der Kolonisierten realisiert. Sie besaßen nichts mehr, sie waren niemand mehr...“ Über die vom reichem Westen kolonisierten Erdteile, über die „Peripherie“ ist die Folter Teil des Westens, geht sie und damit die Barbarei aus der „Zivilisation“ hervor und ist zugleich ihr Trost, ganz anders zu sein.

Der nationale Sicherheitsrat der USA empfahl den lateinamerikanischen Militärs die Doktrinen zur inneren Feindbekämpfung und bildete sie dafür aus. Die USA haben entsprechende Überwachungs- und Kommandozentralen zur „Aufstandsbekämpfung“ finanziert und eingerichtet, während dergleichen für die eigenen US- Bürger nicht in Betracht kommt. Darin sieht Millett einen unbewußten Ausdruck von Rassismus und Imperialismus der USA.

Massenvergewaltigungen in Bosnien, ein Erotik-Buch George Batailles, das in Folterabbildung endet, sind Beispiele dafür, daß zwei normalerweise getrennte Kategorien, die politische Folter und die „unpolitische“ sexuelle Versklavung und Quälerei von Frauen im häuslichen Bereich sich „nicht nur überschneiden, sondern mitunter zu einem neuen Verständnis von Sexus und Herrschaft verschmelzen“. Die Opferrolle wird im Patriarchat unter Sexualität subsumiert. So wird der Gefolterte unter der Folter zur „Frau“. Er ist extrem verletzbar, wie sonst nur eine Frau. Den „Niedrigsten“ unter gefangenen Männern erwartet das schlimmste Schicksal, er wird im Gefängnis zur Frau, muß wie sie gehen, lächeln, sitzen, für die Herren Essen bereiten, waschen und sexueller Sklave sein.

Die sexuelle Folter ist die Steigerung der Folter. Die Frau kann Opfer der Folter werden, nur weil sie Frau ist. Der weibliche Körper ist die Projektion der Sexualität selbst, die Frau damit schon schuldige Partei, Ursache und Wesen des Verbrechens. Sie wird ohne jede Handlung per se ins Unrecht gesetzt. Sexualität gar kommt als Vergewaltigung und Demütigung über die Frau. Das Funktionieren des Patriarchats ist von Gewalt abhängig, Sexualität ist mit der Gewalt verbunden, das Grausame wird sexualisiert. Sobald der Staat die Opposition gegen seine Autorität besiegt hat, werden die Bürger so sanftmütig wie die Frauen, so ängstlich wie Kinder – Widerstand ist unmöglich.

Milletts Analysen und Interpretationen sind differenziert, vorsichtig und überzeugend. Sie schreibt aus der Perspektive der Opfer und läßt die LeserIn diese erfahren. „Wenn wir uns die Folter nicht vorstellen können, können wir ihr auch niemals Einhalt gebieten.“ Sie will die Verdrängung durch Hinsehen durchbrechen, sich von Emotionen nicht überwältigen lassen, sich angesichts der Schreie der Opfer nicht die Ohren verschließen, sondern hören, wissen und erkennen, um nein zu sagen zu Angst und Schweigen. Statt Verzweiflung und Fatalismus ist Rebellion erster Schritt von Befreiung.

„Das Wissen um die Folter ist an sich schon ein politischer Akt. Das Aussprechen des Unaussprechlichen ist der Beginn des Handelns.“ „Wenn die Welt zur Folter schweigt, hat sie nicht nur gesiegt, sondern dauert an, ist ewig.“ Amnestie der Folterer, noch mehr der Verzicht auf Wahrheit, heißt, die Politik der Grausamkeit nur vorübergehend auszusetzen. Duldung macht die Bürger, die Rechte und Vorrechte gegenüber dem Staat haben, wieder zu Untertanen. Abschaffung der Folter, so Millett, verlangt lange gewaltige Anstrengungen, einen kollektiven Willen.

Kate Millett: „Entmenschlicht – Versuch über die Folter“, Hamburg 1993, Junius Verlag GmbH, 309 Seiten, 44 DM