Das Rappel-Zappel mit dem Wurm

Als Verkäuferin in einem Spielzeugmarkt  ■ Von Bascha Mika

Ich hasse Spielzeug. Ich hab rosa Schaum vor dem Mund beim Anblick einer Barbie-Puppe und verfärbe mich schimmlig grün, wenn mir ein Dino-Bambino über den Weg hoppelt. Haben Sie Kinder? Besser, Sie lassen sie momentan nicht in meine Nähe. Nein nein, nicht daß ich eine irreversible Neurose durch präpubertären Schmusedeckenentzug hätte. Ich leide an den akuten Folgen einer Massenpsychose. Tatort: ein Spielzeug-Supermarkt. Ich als Aushilfsverkäuferin. Für einen Tag. Am letzten Sonnabend früh machte ich mich auf. Dorthin, wo sich die Menschheit zwecks Konsum zu scheußlichen Klumpen zusammenballt. In der Praxis sah das dann so aus:

„Dickie! Dieckii! Wo steckt bloß dieser verdammte Knirps? Dickie, laß sofort das Monster los und komm her. Hab ich dir nicht gesagt, du sollst bei Mami bleiben? Hab ich's dir nicht tausendmal gesagt? Schluß jetzt, Dickie!“, kreischt die junge Mutter und zerrt ihren Sprößling aus einem Berg von Kartons hervor. Der würgt mit einer Hand ein plasteweiches Ungetüm und schleift mit der anderen einen Pack Autos hinter sich her. Zähneknirschend muß ich mit ansehen, wie das Zeug ins Regal fliegt. Rabenmutter! Und wer darf den Kram wegräumen? Ich schieß der Frau einen giftigen Blick in den Rücken, bevor sie sich, ihren Einkaufswagen als Rammbock voran, eine Schneise durch's Gewühl schlägt. Dickie trottet hinterher, verliert sich zwischen kilometerlangen Gängen und haushohen Regalen. Die Regale stehen in einer riesigen Einkaufshalle, die Einkaufshalle steht im Gewerbepark von Waltersdorf, Waltersdorf steht auf der Landkarte unten rechts bei Berlin. Gänge, Regale und Kaufhalle gehören „Toys R us“, einem US-Spielzeugkonzern mit 10.000 Stores in 20 Ländern auf vier Kontinenten. Jahresumsatz: acht Milliarden Dollar. Konzept: Fachmarkt mit Selbstbedienung. Eine Handvoll Verkäuferinnen sitzt an den Kassen oder packt neue Ware in die Regale. Die ist ruckzuck wieder weg. Die blauen Westen der Kolleginnen, geschmückt mit „Geoffrey“, der grienenden Giraffe, dümpeln als einsame Bojen im Kundenmeer. Das schiebt und drückt und sucht und staunt und nervt und nölt. Von morgens acht bis abends sechs. Es ist der Samstag vor Weihnachten. „Die kleine Verena sucht ihre Eltern“, quakt der Lautsprecher.

Puppen und Pistolen

Kaum habe ich links und rechts die Fächer abgegrast und die Heimstatt des Monsters ausfindig gemacht, kaum ist mir ein Kunde mit dem Einkaufswagen kräftig in die Hacken gefahren und ein anderer mit einem Cricket-Schläger zwischen die Rippen, kaum habe ich mich daran gemacht, riesige bonbonfarbene Schachteln von „Baby Feber mit dem Schluckauf“ nachzuhorten, zupft es an meiner Weste mit dem „Toys“-Logo. „Könnten Sie mir helfen?“ haucht es kraftlos. Ein Bär von einem Mann hat sich herangepirscht. „Ich bin hier drei Stunden mit meiner Tochter rumgelaufen. Vier ist sie. Sie hat alles gesehen, will aber nichts haben.“ Irritiert schaue ich in das verzerrte Vatergesicht.

Aus jedem Regalfach quillt es eckig oder unförmig, lockt es in schrillem Rot oder Krötenfarben, quiekt es und brummt es. Puppen und Plüsch, Pistolen und Pogobälle, Gesellschaftsspiele, Schaukelpferde, Rennbahnen nebst Zubehör. Der Laden ist vollgestopft mit allem, womit man sich Kinder vom Leib halten kann. 18.000 Artikel sind hier versammelt, vom Luftballon für 49 Pfennige bis zum Lerncomputer für 1.300 Mark. „Die Masse machts!“ verkünden „Toys“-Manager ihren Wahlspruch und stellen zufrieden fest: „Kinder werden verrückt hier, sie wollen gleich alles haben.“ Und da will mir dieser Erziehungsberechtigte weismachen, sein Gör wolle bei diesem Konzept nicht mitspielen? „Ich hab meine Kleine da hinten abgestellt und könnte ganz schnell was aussuchen“, keucht der Vater, „ich hab gedacht, ob sie ein Spiel-Büro haben will, mit Telefon und Schreibmaschine und so...?“

Ich hab keine Ahnung, aber einen Plan in der Tasche. 4.000 Quadratmeter Verkaufsfläche hat der Markt. Ein Fußballfeld, hübsch in Planquadrate aufgeteilt, jeder Gang mit Buchstaben und Zahlen versehen, das macht die Orientierung kinderleicht. Mir fällt sie dagegen schon schwerer. Der Vater zappelt, der Lautsprecher quakt: „Oliver sucht seine Mutti“, ich lerne den Übersichtsplan auswendig. „Mädchenspielzeug und Haushaltsartikel, Gang 9c.“

Auf dem Weg dorthin höre ich das entzückte Geschrei eines Goldköpfchens. Das Mädchen hat einen dreißig Zentimeter großen „Big Rex“ beim Wickel, knetet seine Haut, die aussieht wie getrockneter Kuhfladen, schaut ihm in die rollenden roten Augen und lauscht auf sein dumpfes Röhren: „Uuuaa!“ – „Guck mal Mama, ist er nicht süß?“ Die Mutter und ich wenden uns ab mit Grausen.

Zwischen „Mein liebstes Pony“ und „Kosmetik für die kleine Dame“ finde ich das Spielbüro. „Hier hätten wir dieses reizende Teil in bunter Verpackung, 50 mal 80 Zentimeter, damit es auch nach was aussieht. Mit allem, was ein kleines Sekretärinnenherz begehrt, garantiert Kunststoff und für nur 99,99 Mark.“ Das treibt dem Vater, der mir auf dem Fuße gefolgt ist, die Freudentränen in die Augen. Er wirft noch einen hastigen Blick nach hinten und raunt mir zu: „Passen Sie auf, daß meine Tochter mich nicht entdeckt. Ich renn schnell zur Kasse.“

Im Slalom stürmt er den Gang hinunter, umrundet Warenpaletten und Einkaufswagen. Die kleinsten Kunden, die in den Wagen sitzen, lassen sich nicht stören. „Papa, kuck da! Und da!“ jauchzt einer. Der nächste brüllt, weil ihm der Pumuckel entrissen wird. Der dritte reckt sich und streckt sich, um bei flotter Fahrt in die Regale zu grabschen – und fällt fast hinaus. Ein Kinderparadies!

Vierzig Prozent des Jahresumsatzes an Spielzeug werden im Weihnachtsgeschäft gemacht. Im Gegensatz zu anderen Gebrauchsartikeln ist hier die Konsumneigung ungebrochen. Doch stehenzubleiben und darüber nachzusinnen ist gefährlich. Von links und rechts, von vorne und hinten schießen Einkaufswagen auf mich zu, stoppen quietschend. „Georg“, ruft eine Dame in teurem Zwirn ihren Mann bei Fuß, „hier ist endlich ne Verkäuferin!“

Beseelt vom Jagdglück keilen die KundInnen mich ein und schießen ihre Fragen ab: „Wo ist das ,Rappel-Zappel‘, das mit dem Wurm?“ „Kann diese Feuerwehr spritzen?“ „Ich such so'n kleines blaues Lämpchen, wissen Sie, so eines, wie man oben auf ein Auto machen kann.“ „Einen Monster- Truck!“ „Rollschuhe!“ „Den ,Big- Bobby-Car‘!“ „Hawai Roller Skates für nur 39,99 Mark!“ „Willy!“ – Wer um Himmels Willen ist Willy? – „Na, dieser Roboter, der reden kann!“ Ich flüchte. „Markus sucht seinen Papa“, quakt der Lautsprecher. Im Pausenraum für die Angestellten gönne ich mir einen kleinen Zusammenbruch.

In diesem Jahr sind die Weihnachtsumsätze rückläufig. Mit Umsätzen von 23 Milliarden Mark wird der Handel knapp unter dem Vorjahresergebnis liegen. Nur in den neuen Ländern haben die Verkaufszahlen leicht zugelegt. Und das in Waltersdorf erst im September eröffnete „Toys“ sahnt, wie ich merke, kräftig mit ab.

„Baby Lou“ und „Barbie“

Als ich in den Verkaufsraum zurückwanke, stolpere ich über eine Oma, die „Baby Lou“ in den Armen wiegt. „Baby Lou“ pinkelt in die Windeln und wird trotzdem gekauft. „Warum will das Kind das bloß haben“, fragt sich die alte Frau. „Wo soll ich bloß mit der Palette ,Barbie‘-Puppen hin“, frage ich eine Kollegin. Ah ja, Gang 10d. Ich sause hin – und wanke zurück. Kreischendes Pink fällt über mich her. Hundertfach. Kleine Schachteln, große Schachteln, aus jeder winkt Barbie mit dümmlichem Lächeln hervor. Drei kleine Mädchen drücken sich die Nase am „Traumschiff“ platt. An der Reling posiert die hohlste Frauenattrappe aller Zeiten im maritimen Look. Das ist der Renner des Jahres. Einkaufswagen schieben sich vorbei. In fast jedem schrillt es klatschrosa. „Natürlich sind sie gräßlich“, pflaumt eine Jugendliche mit „Barbie“-Frisur ihren Lover an, „aber ich hab schon 25, und das Traumschiff fehlt mir noch.“

„Spielerische Dauerbrenner“ nennt die Spielzeugindustrie dieses Zeug, das sich wie „Barbie“ seit Jahrzehnten hält. In diesem Jahr wurden Ritterburgen, Modelleisenbahnen, Action-Figuren und Gesellschaftsspiele am besten verkauft. Mit Elektronikspielen sind die Kids übersättigt, der Umsatz ging deutlich zurück. Dafür rückte der Dino bereits zu den Klassikern auf. Nichts kann für's Kinderzimmer eklig genug sein. Doch in der „Toys“-Philosophie gibt es keine Scheußlichkeiten. Bundesgeschäftsführer Arnt Klöser: „Es kommt auf das Kind an, wie es mit den Dingen spielt.“

Ich mache Ordnung in den Regalen. Oder versuche es. Verklebe hier einen aufgerissenen Karton, hänge dort Tischtennisschläger zurück. Als ich mich bücke, um vorwitzig aus ihrem Korb lugenden Plüschaffen das Fell zu gerben, baut sich ein Siebenjähriger vor mir auf. Aug in Aug. Ich hocke, er steht, ich bin entschieden im Nachteil. „Ich will das Auto mit dem Schleim“, knurrt das Jeansmännchen. Ich würge ein bißchen. Geoffrey, die Giraffe auf meiner Weste, grinst hämisch. „Schleim?!“ knurre ich zurück. „Schleim!“ wiederholt das Bürschchen ungerührt, „is'n Auto von ,Attack Pack‘, wo da vorne die Klappe aufgeht und so Zähne rauskommen, und dann spuckt es.“ Ich falle zusammen. Innerlich. Äußerlich maul ich: „Ham wir nich!“ – was natürlich gelogen ist. Der Schleimer, stelle ich später fest, hockt im Regal bei den Action-Figuren und sabbert lautlos vor sich hin.

Ich hasse Spielzeug. Ich hab rosa Schaum vor dem Mund beim Anblick einer „Barbie“-Puppe und verfärbe mich schimmlig grün...