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■ Nebensachen aus WashingtonAmerikanische Weihnacht

So kurz danach, der Bauch noch voll, die Augen noch glasig, ist es schwer festzustellen, wer sich und seinen Mitmenschen das originellste Weihnachtsfest bereitet hat. Doch nach kurzer, aber intensiver Zeitungslektüre haben wir, meine Freundin Clarice und ich, die Auszeichnung an jene 25 Nikoläuse vergeben, die auf ihren Harley Davidsons in Riverside, Kalifornien, ein Altersheim überfielen, den RentnerInnen „Stille Nacht“ vorsangen und sie dann zu einer Spritztour auf ihre Maschinen einluden. Auf diese Weise konnte unter anderem eine 96jährige bei Tempo 100, ordentlich Fahrtwind und einem Hauch von Dennis-Hopper-Feeling ihren neuen Herzschrittmacher ausführen.

Ich bewertete die Aktion mit einer glatten 10,0. Clarice gab der weihnachtlichen Motorrad-Gang eine „9.4 vom ostdeutschen Kampfrichter“. (Dieser Ausdruck stammt, wie sie mir erklärte, aus dem traditionellen Familienwortschatz, wurde in den siebziger Jahren während der TV-Übertragung von Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften im elterlichen Wohnzimmer geprägt und ist als besondere Auszeichnung zu verstehen.)

Weit abgeschlagen auf Platz zwei beim Wettstreit an unserem Frühstückstisch landete das Pärchen aus Northfield, Minnesota, das während eines Weihnachtskonzerts für das öffentliche Fernsehen vor laufenden Kameras durch die Reihen stapfte – bekleidet mit Skistiefeln, Schal und Skimütze.

Es soll nun nicht der Eindruck entstehen, in den USA gäbe es keine Leute, die ein ganz „normales“ Weihnachtsfest zelebrieren. In der Regel halten sich die AmerikanerInnen an das gleiche Ritual wie die EuropäerInnen. Sie stürzen sich in eine besinnungslose Kaufwut, in der in den USA nach Angaben eines Ökonomen der Universität Yale allein vier Milliarden Dollar für sinnlose Geschenke verschleudert werden. Was die EmpfängerInnen wiederum schnell verkraften, „denn“, zitiert Clarice aus der Washinton Post, „jede/r Vierte packt den Krempel schnell wieder ein und verschenkt ihn weiter“.

Es gibt natürlich auch Unterschiede zwischen den Weihnachtsgebräuchen: Das Christkind als Adresse für Wunschzettel fehlt zum Beispiel in der US- amerikanischen Mythologie; es bleibt alles am Nikolaus, genannt „Santa Claus“ hängen, der alle paar Sekunden „ho, ho, ho“ ruft und sich von einem oder mehreren Rentieren auf einem Schlitten über die Dächer ziehen läßt. Letzteres wiederum hat den AmerikanerInnen eines ihrer populärsten Weihnachtslieder beschert – über „Rudolph, the rein deer“.

Santa Claus erreicht man entweder in einem der Einkaufszentren, per Brief oder per Computer. Nachrichten an den Cyber- Santa sind in den Tagen zu tausenden aus Deutschland, Schweden, Israel und den USA eingetroffen. Kinder wünschen sich Barbie-Puppen, Schüler gute Noten, US-Soldaten in Somalia bitten um ein Rückflugticket. Man sieht: Dem Mann wird einiges zugetraut.

Nun sind die Vereinigten Staaten von Amerika ein bekanntermaßen vielfältiges Land, in dem nicht nur Menschen christlichen Glaubens leben. Die Juden haben vom 8. bis zum 16. Dezember „Hanukkah“ gefeiert, das Fest der Tempelweihe, viele Afroamerikaner begannen gestern, am 26. Dezember, ihr „Kwanzaa“, ein kulturelles Fest, das an die afrikanische Herkunft erinnern soll. Und die Atheisten zelebrieren Winter Solstice, die Wintersonnenwende.

In manchen Wohngegenden wird so die Dominanz des Christbaums durchbrochen, anderswo gibt es natürlich Streit.

In Clarice's Sportstudio zum Beispiel, als neulich ein Kunde fragte, ob es zuviel verlangt sei, neben dem Christbäumchen, über den jeder stolpert, der zum Body Shaping-Kurs eilt, auch eine Menora, den neunarmigen Leuchter, aufzustellen. Das war in den Augen des Ober-Body- Shapers zuviel verlangt, denn wenn er eine Menora aufstelle, so sein Einwand, müsse er auch einen Kinara, den siebenarmigen Kerzenhalter für das „Kwanzaa“- Fest aufstellen. Mit dieser Argumentation hätte er dann auch auf den Christbaum verzichten müssen. Die Streitparteien vertagten die Debatte auf das nächste Jahr und gingen derweil ihrer Wege – der eine auf's Laufband, der andere in seinen low intensity aerobics-Kurs.

Merry christmas! Happy Hanukkah! Happy Kwanzaa! Andrea Böhm

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