Neues aus dem „Ramstein-Ustica“-Sumpf

■ Vor dem Unglück fürchtete der Chef der italienischen Flieger ermordet zu werden

Rom (taz) – Zwei Jahre nachdem die taz erstmals die offizielle Darstellung des Unglücks der italienischen Staffel „Frecce tricolore“ bei der Flugschau in Ramstein 1988 in Frage gestellt hat, kommt erneut Bewegung in die Untersuchung. Nachdem ein Freund eines damals umgekommenen Piloten Aussagen über ein möglicherweise verschwundenes Dossier gemacht hat, ist das Mandat des Ermittlungsrichters um ein weiteres Jahr verlängert worden.

Bei dem Zusammenstoß und anschließenden Absturz zweier Jagdflugzeuge waren insgesamt 70 Menschen getötet worden, darunter drei der Piloten. Damals waren starke Ungereimtheiten in der Version der italienischen Behörden entdeckt worden, wonach ein Pilotenfehler die Ursache des Unfalls gewesen sein sollte. Zwei der drei umgekommenen Piloten – der Chef der Staffel, Oberst Mario Naldini, und der Solopilot Ivo Nutarelli – ließen sich sich in eine mysteriöse Serie von Todesfällen einreihen. Ebenso wie sechs andere in den Monaten zuvor auf merkwürdige Weise ums Leben gekommene Personen waren sie Zeugen oder Mitwisser eines bis heute ungeklärten Flugzeugunglücks im Jahr 1980. Bei dem Absturz eines Zivilflugzeuges der Gesellschaft „Itavia“ über der Mittelmeerinsel Ustica waren 81 Personen ums Leben gekommen. Das Flugzeug war – wie heute mit höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit festgestellt ist – während eines Luftgefechts versehentlich abgeschossen worden. Ob es sich bei dem Gefecht um ein Manöver handelte oder einen echten Luftkampf, ist ungeklärt. Es existieren jedoch starke Indizien dafür, daß just in diesen Stunden westliche Geheimdienste und Luftwaffeneinheiten einen Putsch gegen den libyschen Staatschef Muammar el- Ghaddafi „flankieren“ sollten.

Nun hat der Florentiner Unternehmer Andrea Crociani, ein enger Freund von Oberst Naldini, während einer fünfstündigen Vernehmung durch den federführenden Staatsanwalt Rosario Priore ausgesagt, der Chef der „Frecce tricolore“ habe ihm kurz vor der Flugschau in Ramstein gesagt, er fürchte, wegen seines Wissens ermordet zu werden. Tatsächlich hatte sich die Untersuchung um den Fall „Ustica“ damals einem Wendepunkt genähert. Erstmals war ein Militärdokument aufgetaucht, das die hartnäckig von den Militärs verteidigte Behauptung, es habe seinerzeit keinerlei Flugbewegungen der Luftwaffe über dem Mittelmeer gegeben, zum Wanken brachte: Auf der Flugliste des Stützpunktes Grosseto nördlich von Rom – durch dessen Gebiet die „Itavia“-Maschine fliegen mußte – war der Aufstieg zweier T-104-Jäger verzeichnet, die auf „Abfangmission“ geschickt worden waren. In einer der Maschinen saßen Naldini und Nutarelli. Sie sollten sofort nach ihrer Heimkehr aus Ramstein dazu aussagen. Daraufhin verschwand des Dokument aus den Akten und tauchte erst eineinhalb Jahre später in Kopie wieder auf. Nach Aussagen des Naldini-Freundes Cruciani wollte der Oberst noch ein Dossier über sein Wissen anfertigen.

Ermittlungsrichter Rosario Priore hat Ende voriger Woche aufgrund dieser neuen Entwicklung vom italienischen Parlament eine weitere – die dritte – Verlängerung seines Mandats zur Untersuchung des Falles „Ustica“ erhalten. Mindestens bis Ende 1994 darf er weiter ermitteln. Während dieser Zeit wird Priore auch nach dem bis heute nicht aufgetauchten Dossier Naldinis fahnden. Möglicherweise hat darauf aber ein anonymer Anrufer bei der taz angespielt, der sich nach den ersten Berichten über das Unglück von Ramstein im Januar 1991 nach einem „Angebot für Brisantes von Naldini“ erkundigte, dann aber nichts mehr von sich hören ließ. Dafür statteten Unbekannte dem taz-Büro in Rom wiederholt Besuche ab und ließen Kopien von Dokumenten über Ustica und Ramstein mitgehen. Werner Raith