Die Kieler Schublade bleibt weiter offen

Bis weit in den nächsten Sommer wird sich der Untersuchungsausschuß mit der Frage beschäftigen, seit wann die SPD über die Machenschaften des Reiner Pfeiffer informiert war  ■ Aus Kiel Kersten Kampe

Einmal aufgezogen, läßt sich die Schublade in Kiel nicht mehr so leicht schließen. Die Barschel-Affäre von 1987 hat die Nordlichter wieder eingeholt. Seit dem Frühjahr mühen sich Politiker im Untersuchungsausschuß zur sogenannten Schubladen-Affäre um alles, was dort herauskommt. Bis zum Sommer sah es zunächst so aus, als ob nichts mehr hakt und knirscht. Die Schublade, in der der frühere Sozialminister und Landesvorsitzende der SPD, Günther Jansen, rund 40.000 Mark „aus sozialen Gründen“ gesammelt hatte, hätte geschlossen werden können, wäre es nur um die Zahlungen an Barschels Mann fürs Grobe, den Ex-Medienreferenten Reiner Pfeiffer gegangen. Dem Übervater der Landes-SPD war geglaubt worden. Doch dann plauderte eine Ex-Freundin Pfeiffers aus Rache, und Minister Jansen, bekannt für seine Wohltätigkeit, hatte seine politische Dummheit zugegeben und trat zurück.

Doch der sogenannte Schubladen-Ausschuß hatte sich nicht nur vorgenommen, die Geldzahlungen zu untersuchen, sondern auch die Kontakte zwischen der SPD und Pfeiffer. Und da gärt es seit Wochen. Die Hoffnung, die Schublade könnte bis Weihnachten und rechtzeitig vor der Kommunalwahl im März 1994 wieder zugeschoben werden, ist passé. Der Terminplan, der in diesen Tagen vorgelegt wurde, sieht Ausschußsitzungen bis zum Sommer vor. Den sozialdemokratischen Kommunalpolitikern graust es: „Wir können es doch keinem mehr vermitteln, was die da auf Landesebene treiben. Wir verstehen es doch selbst nicht mehr“, erklärte eine frustrierte SPD-Politikerin.

Seit Oktober mehren sich die Zeugen aus dem sozialdemokratischen Umfeld, die unabhängig voneinander vom früheren Wissen und bewußtem Schweigen der Partei-Spitze um die Machenschaften wissen wollen. Da soll beispielsweise am Rande einer Wahlkampfveranstaltung der einstige SPD-Sprecher, Klaus Nilius, zu dem Pfeiffer im Juli 1987 Kontakt aufgenommen hatte, im Beisein Engholms von einem SPD-Informanten aus der Staatskanzlei gesprochen haben. Da soll die Ehefrau des damaligen Landesgeschäftsführers Klaus Rave und heutige Landtagspräsidentin, Ute Erdsiek-Rave, auf einem SPD- Sommerfest Genossen wegen des Wahlausgangs beruhigt haben, da laufe noch eine große Sache, die den Wahlausgang bestimmen werde. Da sollen sich führende SPD-Politiker kurz vor der Wahl in einem Café am Landeshaus getroffen haben, wobei es ja nur ein Thema gegeben haben könne, so die Spekulationen. Die Betroffenen, vom Landesvorsitzenden Piecyk, Jansen, Engholm bis zum Fraktions-Chef Gert Börnsen, bestreiten alles. Es stehen Aussagen gegen Aussagen, die Liste der Zeugen, die entweder die eine oder andere Seite stützen können, wird immer länger. Die Genossen überziehen sich gegenseitig mit Strafanzeigen und Vorwürfen wie Verleumdung und Rufmord.

Auch der Versuch des Ausschußvorsitzenden Heinz Werner Arens (SPD), in einer persönlichen Zwischenbilanz einiges gerade zu rücken, mißlang. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Urheberschaft und politische Verantwortung Barschels für die Machenschaften in Zweifel gezogen werden müßten, erklärte Arens. Aber es gebe den „begründeten Verdacht“, daß die Darstellungen der SPD über ihre eigene Rolle innerhalb der Barschel-Affäre falsch seien.

Damit provozierte Arens einen Aufschrei aus den eigenen Reihen. Noch im Mai auf dem Parteitag in Eckernförde hatten die Genossen Geschlossenheit und Aufklärungswillen demonstriert. Der Landesvorsitzende Piecyk drohte, wer jetzt noch mit der Wahrheit hinter dem Berg halte, könne nicht mehr mit der Solidarität der Partei rechnen. Zwei Wochen zuvor war Engholm von seinen Ämtern als SPD- Bundesvorsitzender und Ministerpräsident zurückgetreten. Er gab zu, fünf Tage vor der Landtagswahl 1987 von den kriminellen Machenschaften aus der Staatskanzlei Barschels erfahren zu haben und korrigierte damit seine frühere Aussage vor dem Barschel-Untersuchungsausschuß, wonach er erst am Wahlabend unterrichtet worden sei.

Von der einst beschworenen Solidarität jedenfalls ist nichts mehr zu spüren. Auf dem Parteitag im November wurden Kritiker wie der Bundestagsabgeordnete Norbert Gansel ausgepfiffen und mit Buh-Rufen bedacht, weil sie weniger Selbstgerechtigkeit forderten und vor Vorverurteilungen gegen diejenigen aus den eigenen Reihen warnten, die vor dem Schubladenausschuß die SPD-Spitze in Bedrängnis gebracht hatten. Die Bürger Schleswig-Holsteins haben derweil die Nase voll von der Affäre: Bei einer infas-Umfrage im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks gaben 71 Prozent an, daß „Politik überall ein ähnlich schmutziges Geschäft ist“. Die Auffassung, daß noch mehr ans Tageslicht komme, vertreten sogar 80 Prozent der Bürger. 61 Prozent halten SPD und CDU gleichermaßen für moralisch belastet. Das einzige Pfund, womit die SPD in Schleswig-Holstein derzeit wuchern kann, ist Heide Simonis. Die Arbeit der Ministerpräsidentin wird von den Schleswig-Holsteinern als „befriedigend“ eingestuft. In der infas-Umfrage heißt es: „Ein respektabler Wert in diesen Zeiten.“