Islamisten beschießen Reisebus

Bei einem Anschlag in Kairo wurden gestern acht österreichische Touristen und acht Ägypter verletzt / Der Krieg zwischen militanten Islamisten und der ägyptischen Führung geht weiter  ■ Aus Kairo Ivesa Lübben

Die österreichischen TouristInnen bestaunten gerade die Fassaden des alten Kairoer Koptenviertels, da prallten Steine gegen die Scheiben, und dann begannen vier Unbekannte auf den Reisebus zu schießen. Geistesgegenwärtig gab der Fahrer Vollgas. Dennoch wurden durch einen in den Bus geworfenen Sprengsatz und herumfliegende Glassplitter acht der insgesamt neunzehn Insassen zum Teil schwer verletzt. Eine Österreicherin verlor ein Auge. Acht Ägypter wurden durch Schüsse verletzt, als sie versuchten, die Attentäter zu verfolgen. Die ägyptischen Behörden geben militanten Islamisten die Schuld für den gestern morgen verübten Anschlag.

Seit radikale islamische Untergrundgruppen Ende 1992 den bewaffneten Kampf gegen den ihrer Meinung nach „ungläubigen Staat“ Ägypten wiederaufgenommen haben, starben nach Angaben der ägyptischen Menschenrechtsorganisation 170 Personen. Und das trotz Beteuerungen des Innenministers, die Situation sei unter Kontrolle. Zu den Opfern gehören Staatsvertreter, Christen, Intellektuelle und Ausländer. Seit Oktober 1992 starben durch Anschläge sieben Touristen.

Gingen die Anschläge der letzten Jahre vor allem auf das Konto der „Gamaat Islamia“ (Islamische Gemeinschaft), die vor allem in den oberägyptischen Städten Assiut, Qena, Beni Suef und Minia ihre Basis haben, so trat mit den Selbstmordkommandos auf Innenminister Hassan al-Alfi im August und den Ministerpräsidenten Atif Sidqi im November mit der „Talaaeh al-Fatah al-Islami“ (Avantgarde der islamischen Eroberung), einem Arm des „Dschihad Islami“, eine andere Untergrundgruppe auf die Bühne des bewaffneten Kampfes. Die Vorläufer des Dschihad gehen auf Abspaltungen des radikalen Flügels der Muslimbrüder in den sechziger Jahren zurück. Die Gamaat entstand aus Zellen der radikalen islamischen Studentenbewegung, die in den siebziger Jahren vom Sadat- Regime hochgepäppelt wurde. Anders als die Gamaat ist der Dschihad eine streng organisierte Untergrund- und Kaderorganisation, die vor allem auf die Unterwanderung des Staatsapparates setzt. Seit dem Mord am ehemaligen Staatspräsidenten Sadat, um den sich bis heute Gamaat und Dschihad die Verantwortung streitig machen, war es um den „Dschihad al-Islami“ still geworden. Soweit sie nicht ins Gefängnis wanderten, schlossen sich die meisten Mitglieder den afghanischen Mudschaheddin an. Erst Ende des letzten Jahres kamen sie zu Hunderten wieder nach Ägypten zurück. Ihre Führung sitzt bis heute im Ausland, wo sie sich in zwei konkurrierende Flügel unter Muhammad Makawi und Said Abdel Aal einerseits sowie Aiman Dhawahari andererseits gespalten hat. Makawi und Abdel Aal haben ihr Hauptquartier im afghanischen Dschalalabad. Dhawahari wurde im Oktober politisches Asyl in der Schweiz gewährt. Makawi wirft seinem Gegenspieler vor, vom Iran finanziert zu werden. Die internationale Informationsarbeit und ihre finanziellen Transaktionen wickelt die Dhawahari-Gruppe allerdings vor allem über die jemenitische Hauptstadt Sanaa ab.

Um die Spaltungen des islamischen Lagers zu überwinden, hat der Dschihad-Chefideologe Abud al-Zumur, der seit dem Sadat- Mord eine vierzigjährige Haftstrafe verbüßt, kürzlich zur Bildung einer Islamischen Front aufgerufen. Sie soll neben den Gamaat- und den Dschihadflügeln auch die moderaten und halblegal agierenden Muslimbrüder einschließen.

Ein Dialog mit den „Terroristen“ käme auf keinen Fall in Frage, die Politik der Konfrontation werde weitergehen, verlautete es aus dem Innenministerium nach den Mordanschlägen auf Hassan al-Alfi und Sidqi. Auch die staatliche Gewalt ist wie nie zuvor eskaliert. Die Gerichtsverfahren gegen Islamisten wurden fast alle an Militärgerichte überwiesen. Das Recht dazu hat Staatspräsident Mubarak aufgrund der 1991 verhängten Ausnahmegesetze. In Schnellverfahren wurden 1993 mehr als vierzig Todesurteile verhängt, von denen dreißig vollstreckt wurden. Damit habe Ägypten gegen die „Internationale Deklaration über die Unabhängigkeit der Justiz“ verstoßen, beklagt die Ägyptische Menschenrechtsorganisation, in einem kürzlich veröffentlichten Memorandum. Die Militärrichter unterstehen dem Staatspräsidenten. Eine Berufung gegen die Urteile ist ausgeschlossen. Den Rechtsanwälten wird verweigert, ihre Klienten unter vier Augen zu sprechen, und meistens haben sie nicht mehr als vier oder fünf Tage Zeit, sich durch Tausende von Seiten von Aktenbergen zu arbeiten. Den Vorwürfen der Angeklagten, sie hätten unter Folter gestanden, wird nicht nachgegangen.

Die Menschenrechtsorganisation wirft der Regierung vor, daß allein in diesem Jahr dreizehn Menschen an den Folgen der Folter gestorben sind, darunter auch Unschuldige wie der sechzehnjährige Amro Safwat. Der Schüler hatte in der Nähe der Residenz des Verteidigungsministers auf einen Bus gewartet, als eine Polizeipatrouille ihn aufgriff. Die Polizisten übergaben den Jungen der Staatssicherheit, die ihn dann einen Monat lang verhörte und anschließend in eine Nervenheilanstalt einweisen ließ. Ende Oktober starb er dort an den Folgen von Folter und Unterernährung.

Ein Ende der Gewaltspirale ist nicht abzusehen. Anfang 1994 steht eine ganze Reihe neuer Militärgerichtsprozesse an. Am 30. Dezember will das Oberste Staatssicherheitsgericht das Urteil im Farag-Foda-Prozeß verkünden. Der säkularistische Intellektuelle wurde im Juli 1992 ermordet. Einer der Angeklagten ist Safwat Abdel Ghanem, der Führer des militärischen Flügels der Gamaat. Für den Fall, daß er zum Tode verurteilt werden sollte, hat die Gamaat Blutrache geschworen.