■ Weg mit den Ahnen?
: „Die Straßennamen sollte man lassen“

Der bekannteste Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft würde sich in der nach ihm benannten Straße in Neukölln sicher nicht wohlfühlen. In der Karl-Marx- Straße reiht sich ein Geschäft an das andere, das Konsumieren wird großgeschrieben. Außer dem pensionierten Postbeamten Rudolf Köppe*, 73, hat kaum jemand Lust, sich über den Namen der Straße Gedanken zu machen. „Ich halte von Karl Marx gar nichts. Sein System ist mit dem Ostblock baden gegangen“, sagt Köppe, der auf dem Weg zum Arzt ist. „Warum soll man solche Leute durch einen Straßennamen ehren?“ Er ist dafür, nicht „lange zu fackeln“ und alle Straßen auf einmal umzubenennen, die an eine „rote Vergangenheit“ erinnern.

Daß die Neuköllner Einkaufsstraße weiterhin nach dem sozialistischen Urahn heißen darf, ihr Ostberliner Pendant jedoch auf der „roten Liste“ einer Kommission steht, die Verkehrssenator Haase zur Durchforstung des sozialistischen Erbes eingesetzt hat, kümmert hier niemanden. Wie berichtet, beschäftigt sich die Kommission mit allem im Ostteil, was „im weitesten Sinne sozialistisch“ auf Straßenschildern prangt; zur Disposition stehen auch weitere sozialistische Ahnen wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, August Bebel und Clara Zetkin. Die endgültigen Ergebnisse sollen Mitte Januar bekanntgegeben werden.

Die Karl-Marx-Allee am Alexanderplatz, Ostberlins ehemaliger Prachtboulevard, lädt nicht zum Einkaufen oder Promenieren ein. Die zehnspurige Straße führt durch eine Betonwüste aus Plattensilos. Die arbeitslose Ursula Milbredt* wohnt in der parallel zur Karl-Marx-Allee verlaufenden Berolinastraße. Die 58 Jahre alte Frau sagt, daß „Karl Marx einer der großen Söhne Deutschlands war“. Ob das, was er gewollt hat, realisiert wurde oder nicht, interessiert sie dabei weniger. Auch für den 57jährigen Hobby-Philosophen Hans Orzel* ist Marx' Vision von einer besseren Gesellschaft auch nach dem Fall der Mauer noch erstrebenswert. Der Straße einen anderen Namen zu geben, fände er nicht angebracht. „Schließlich handelt es sich um eine historische Persönlichkeit, die überall in der Welt bekannt ist“, begründet er seine Meinung.

Auch in der stark befahrenen Karl-Liebknecht-Straße ist Brunhilde Neumann*, 63, dagegen, die „alten Straßennamen einfach wegzuschmeißen“. Liebknecht sei konsequent gegen jeden Krieg gewesen. Die Interessen der kleinen Leute habe er vertreten. „Ich finde ihn ganz ungeheuer mutig.“ Besonders stören würde es die resolute Rentnerin, wenn die Straße den Namen eines „Erzreaktionären“ bekäme.

In der Rosa-Luxemburg- Straße stehen Mietshäuser. In den Erdgeschossen gibt es eine ungewöhnliche Mischung aus Gemüse- und Pornogeschäften, aber auch eine postmoderne Apotheke. „Wer in Berlin aufgewachsen ist, weiß, wer das Duo Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war“, sagt der 60jährige Heinz Jaensch*. „Es tat mir schon weh, als das Lenin-Denkmal in Friedrichshain abgerissen wurde. Wenigstens die Straßennamen sollte man so lassen“, meint Jaensch. Für ihn gehören die beiden zur deutschen Geschichte. Christine Adams*, 39, fände es beschämend, sich an einen anderen Namen gewöhnen zu müssen. Sie sieht in Rosa Luxemburg eine ungewöhnlich starke Frau. „Schade, daß es nur so wenige davon gibt.“ Juliane Echternkamp

* Namen von der Red. geändert