Ehrgeiziges Ziel verfehlt

Die Broschüren „Umbenennungen“ und „Wilmersdorf“ des Luisenstädtischen Vereins über Straßennamen / Aktuelle Streitfälle ausgespart  ■ Von Jürgen Karwelat

Vor zwei Jahren war er der größte ABM-Verein der Stadt mit über 200 Stellen für abgewickelte DDR-Geschichtswissenschaftler mit Sitz im Bezirk Mitte, Köpenicker Straße 90. Jetzt laufen die Stellen für den Luisenstädtischen Bildungsverein aus. Ende des Jahres bleiben noch zwei Projekte für vielleicht 20 Leute. Stadtrundgänge gehören zum Programm des Vereins, die Angestellten organisieren Stadtrundgänge, halten Vorträge und produzieren Bücher und Broschüren. Einer der Schwerpunkte ist die Beschäftigung mit Straßennamen. Das ehrgeizige Ziel, zu jedem der 23 Berliner Bezirke eine Broschüre zu machen, werden sie wohl nicht mehr erreichen.

Nach der Broschüre „Umbenennungen“, die die vorwiegend in Ostberlin vorgenommenen darstellt, ist jetzt ein 430 Seiten starker Broschüren-Wälzer über die Straßen im Bezirk Wilmersdorf erschienen: eine Fleißarbeit. Zwei Jahre lang haben die Autoren Joachim Jauch und Gert Taraschonnek vorhandene und auch mittlerweile verschwundene Straßennamen Wilmersdorfs verfaßt, die Benennungszeiträume aufgelistet und auch die Bedeutungen, so weit möglich, aufgeklärt. Dabei konnten sie auf ein Manuskript des langjährigen Bezirksverordneten Werner Goldberg zurückgreifen. Wer sich für Berliner Straßennamen interessiert, der hat mit den 594 ermittelten Straßennamen hier eine Fundgrube. Wer weiß denn schon, daß die Hundekehelstraße ihren Namen von der auch Hundequele bezeichneten Sammelstelle hat, wo sich die Hundemeute einer Treibjagd versammelt. Interessant sicher auch die jetzt dokumentierten schnellen Wechsel von Straßennamen. Erst 1906 benannt, hatte der heutige Steinrückweg im Grunewald schon zwei andere Namen (Rastatter Straße und Barnayweg). Das Umbenennungskarussell drehte sich auch beim Wilmersdorfer Teil der Motzstraße, die nacheinander August-, Westphälische und Königshofer Straße hieß, bis sie am 21.10. 1901 nach dem preußischen Finanzminister Friedrich Christian Adolf von Motz (1775–1830) benannt wurde.

Trotz dieser Fleißarbeit bleibt ein fader Nachgeschmack. Nur ansatzweise werden die harten, zum Teil auch polemisch geführten Debatten um die Umbenennungen der vor allem letzten drei Jahre gestreift. Gerade im Band „Umbenennungen“ hätten in einem Vorkapitel die Streitpunkte in den östlichen Bezirken angesprochen werden müssen. So bleibt ungeschildert der Streit um die Rückbenennung der Friedrichshainer Babeuf- und Timbaudstraße in Rüdersdorfer und Fredersdorfer Straße (es waren Nacht- und Nebelumbenennungen der SED-Bürokratie im Juni 1989). Auch die fast durchgängige Linie, bei den neuen Benennungen fast immer auf die alten Namen aus der Kaiserzeit zurückzugreifen, wäre einen Kommentar wert gewesen. Unerwähnt bleibt deswegen auch der prominenteste Straßennamensstreit: der um die Otto-Grotewohl-Straße, die zum Zeitpunkt der Drucklegung der „Umbenennungsbroschüre“ nach einem Beschluß des Bezirks Mitte Willy- Brandt-Straße heißen sollte, nun aber nach dem Dekret von oben durch den Senat jetzt wieder an den alten König Wilhelm I., den sogenannten Soldatenkönig, erinnert.

Auf derselben Ebene liegt die Ausgabe zu den Wilmersdorfer Straßennamen. Trotz einer Einleitung zu den Namensgebungen bleiben die wesentlichen Ereignisse um Wilmersdorfer Straßennamen ungenannt. So hatten die Nazis im Grunewald zwölf Straßen umbenannt, um das Andenken an jüdische Mitbürger aus dem Stadtbild zu tilgen. Statt dessen bekamen zahlreiche Straßen Namen von „Helden der Bewegung“. Die halbherzige Wiedergutmachung für die gelöschten jüdischen Namen nach 1945 war ein Trauerspiel. 1986 konnte sich die Bezirksverordnetenversammlung nicht zur Beseitigung des Naziunrechts durchringen. Diese hatten die Auerbachstraße (nach dem jüdischen Dichter Berthold Auerbach) in Auerbacher Straße (nach dem hessischen Kurort Auerbach) umbenannt. Zwei kleine zusätzliche Buchstaben mit ideologischer Wirkung. Der faule Kompromiß von 1986, mit „Auerbacher“ sei auch Berthold Auerbach gemeint, ist weder im Vorwort noch im Hauptteil erläutert. 1991 beschloß die SPD/AL-Mehrheit die Rückbenennung von drei durch die Nazis umbenannten Straßen, die vor ihrer Umbenennung an Berliner Juden erinnerten. Nach den letzten Wahlen 1992 kippte aber die neue CDU/Rep/FDP-Mehrheit zwei dieser Beschlüsse. Nur der Seebergsteig sollte nach Meinung von SPD, AL und FDP in Walter-Benjamin-Straße umbenannt werden. Die Umbenennung hakt jetzt, da Anwohner Klage eingereicht haben. Im Buch über die Wilmersdorfer Straßen kein Wort davon! Hier wird der Wegbereiter der Nazis, Antisemit und Propagandist des Ersten Weltkriegs Reinhold Seeberg nur als Wegbereiter der „modernen positiven Theologie“ bezeichnet.

Das Buch will unpolitisch sein, ist es aber durch vermeintliche vorsichtige Formulierungen und vor allem durch das Weglassen entscheidender Dinge nicht. Eine Gelegenheit ist verpaßt, nicht nur Detailwissen anzuhäufen, sondern auch anhand der Auseinandersetzungen um Straßennamen politische Prozesse zu beschreiben.

Wegweiser zu Berlins Straßennamen. „Umbenennungen“, 116 Seiten, 9,90 DM, „Wilmersdorf“, 430 Seiten, 16 DM. Edition Luisenstadt, Luisenstädtischer Bildungsverein, Berlin 1993.