■ Das Portrait
: Simon Wiesenthal

„Nazi-Jäger“, „Racheengel“, „Tough Jew“ – Simon Wiesenthal hat sein zweites Leben damit verbracht, das Bild vom wehrlosen jüdischen Volk auch vor den eigenen Augen zu vertreiben. Seine Nachkriegsbiographie, ein Leben nach 12 Konzentrationslagern, ist ein einziger Tribut: Mit Elie Wiesel gehört er zu denen, die jene eisige Professionalisierung im Umgang mit dem Holocaust entwickelt haben, die Anlaß gab zu dem traurigen Spruch „There's no business like Shoah- business“. Simon Wiesenthal, der über 6.000 Nazi- Kriegsverbrecher suchte und 1.100 den Gerichten übergab, wird morgen 85 Jahre alt.

Die Sekretärin seines Dokumentationszentrums in der Wiener Salztorgasse (einst Gestapo-Hauptquartier im ehemaligen Hotel Metropol) nennt ihn „Herr Ingenieur“. Der 1908 im galizischen Buczacz geborene Wiesenthal war Architekt, als er 1941 neben seinem Büro in Lemberg festgenommen wurde. Gemeinsam mit vielen anderen war er zusammengetrieben und einem Erschießungskommando gegenübergestellt worden. Daß er noch am Leben ist, verdankt er dem Ruf „Genug jetzt, Vesperläuten!“. Er hat Franz Stangl und Karl Silberbauer gefunden, und vielleicht auch Eichmann. An der Dämonisierung der Täter hat er sich nie beteiligt, genauso wie er – lange vor dem Historikerstreit – zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus keine großen Unterschiede zu entdecken vermochte. In seinem Namen arbeitet jetzt ein Center in Los Angeles mit aggressivsten High-Tech- und Geheimdienstmethoden, eng an Israel angelehnt, das die alteingesessene Selbsthilfeorganisation B'nai B'rith aus dem Rennen zu werfen droht. Wiesenthal hat vor einem Jahr einen Kalender „Jeder Tag ein Gedenktag – Chronik jüdischen Leidens“ herausgegeben, der den Holocaust quasi zu einer

Foto: J.H. Darchinger

Konstante in der jüdischen Geschichte werden läßt. Die Koppelung festgeschriebenen jüdischen Leids an die Forderung nach ständiger Wachsamkeit („There is an anti-semite under every tree“) wird gerade von amerikanischen Kritikern oft als Religionsersatz gegeißelt. Seine Freundschaft zu Bundeskanzler Kohl oder seine anfängliche Verteidigung Waldheims haben ihn andererseits nicht daran gehindert, dem politischen Establishment wegen Waffen für die bedrohten bosnischen Muslime in den Ohren zu liegen. Mariam Niroumand