Das Alltagsschicksal Arbeitslosigkeit

■ Die höchsten Arbeitslosenzahlen seit Gründung der BRD

Das Jahr 1993 brachte nicht nur die höchsten Arbeitslosenzahlen in der Geschichte der Bundesrepublik, sondern auch einige strukturell neue Entwicklungen. Im Westen Deutschlands stieg die Zahl der Erwerbslosen erstmalig rapide, im Osten blieb sie auf sehr hohem Niveau. Nicht nur Un- oder Angelernte, sondern auch immer mehr gut ausgebildete Facharbeiter und Angestellte verloren ihren Job. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen nimmt zu.

Die Statistiken: Im Westen kletterte die Zahl der Erwerbslosen im November 1993 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 523.000 auf 2.407.000; die Arbeitslosenquote stieg von 6,2 auf 8,7 Prozent. Im Osten erhöhte sich die Zahl der Arbeitslosen im November 1993 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 65.000 auf 1.151.000; die Quote stieg von 14,9 auf 15,8 Prozent. Im Osten sind besonders die Frauen betroffen: Ihre Arbeitslosenquote lag 1993 bei 21,5 Prozent, die der Männer bei 11 Prozent.

Zu den 3,5 Millionen Erwerbslosen im November diesen Jahres kamen noch rund 2,5 Millionen Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (280.000), Kurzarbeit (760.000), Weiterbildung (625.000) oder Vorruhestand beziehungsweise Altersübergangsgeld (805.000). Zusammengerechnet fehlt es in der Bundesrepublik Deutschland somit zumindest an sechs Millionen Arbeitsplätzen.

Der Anteil der Angestellten an den Erwerbslosen lag im Westen Deutschlands im November diesen Jahres wie im Vorjahresmonat gleichbleibend bei etwa 36 Prozent. In den fünf neuen Ländern stieg dieser Anteil von 34 auf 38 Prozent. In diesem Jahr betrug das durchschnittlich gewährte Arbeitslosengeld 1.860 Mark inklusive Versicherungsbeiträge, deutlich mehr als noch im Jahre 1992 (monatlich 1.560 Mark) – ein Indiz dafür, daß zunehmend auch gutverdienende Beschäftigte entlassen werden. Große Unterschiede gibt es dabei nach wie vor zwischen West-Arbeitslosen (2.097 Mark) und Ost-Arbeitslosen (1.480).

Die Dauerarbeitslosigkeit nimmt zu. Zahlen der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit für die Langzeitarbeitslosen gibt es für 1993 noch nicht, sie dürften aber, nach Befragungen zu urteilen, höher liegen als die 27 Prozent (West) beziehungsweise 24 Prozent (Ost) vom vergangenen Jahr. Nach den – weitgefaßter definierten – OECD- Statistiken gelten in Deutschland mehr als 40 Prozent der Erwerbslosen als länger als ein Jahr arbeitslos. Höhere Werte gibt es unter anderem in Italien, Belgien und Irland.

Die Fördermaßnahmen für Erwerbslose wurden 1993 von der Bundesanstalt für Arbeit deutlich eingeschränkt. Der Anteil der ABM-Plätze im Westen sank im November diesen Jahres im Vergleich zum Vorjahresmonat um 25.000 auf 47.000, im Osten sogar um 137.000 auf 226.000. Umschulungsmaßnahmen wurden im Westen um 53.000 auf 324.000 zurückgefahren, im Osten sogar um 193.000 auf 302.000. Barbara Dribbusch