„Mit Dir durchs ganze nächste Jahr“ Von Klaudia Brunst

Es wäre sicher ein schönes Weihnachtsfest geworden. Wenn sich unser Hund nicht ausgerechnet sieben Tage vor dem heiligen Fest entschlossen hätte, seine Zähne zu verlieren. Das sei ganz normal, hatte uns der Tierarzt per Telefondiagnose beruhigt, wir sollten dem Hund jetzt nur in ausreichender Menge geeignetes „Kaumaterial“ bereitstellen, um das Zahnen des Milchgebisses zu unterstützen. Daß sich der Hund in diesem Moment ausgerechnet meinen teuren Filofax als „Kaumaterial“ vorgenommen hatte, merkte ich erst, als ich den Hörer schon wieder aufgelegt hatte.

Unvermittelt wurde aus mütterlicher Sorge um den Hund schäumender Haß. Trotzdem war der Kalender einschließlich der Geheimnummern diverser Halbprominenter nicht mehr zu retten. „Man notiert sich eben nicht alles, was wichtig ist, in einem einzigen Kalender“, wußte meine kluge Freundin, und daß ja tröstlicherweise bald Weihnachten sei. Meine Laune wurde angesichts dieses Hinweises schlagartig besser. So wichtig waren mir die Geheimnummern dann auch wieder nicht. Unauffällig legte ich am Abend einen Filofax-Katalog in die Fernsehzeitung und kreuzte wie unabsichtlich mein Lieblingsmodell an. Sicher ist sicher.

Die Tage bis Weihnachten verbrachte ich notgedrungen kalenderfrei, aber in guter Hoffnung. Und wirklich lag unter der Nordmanntanne, die wir vorsorglich auf einen malerisch dekorierten Berg Katzenstreu gestellt hatten (falls der Hund doch mal drunterpinkelt), ein Geschenk von passender Größe. „Ich habe gehört, daß du einen Kalender brauchst“, flötete meine Nachbarin, sichtlich stolz über so viel investigative Nachbarschaft. Sie hatte mir doch tatsächlich den „Wir Frauen 1994“ von der Demokratischen Frauenbewegung angedreht, den sie auf ihrer Gewerkschaftsweihnachtsfeier letzte Woche gewichtelt hatte. Auch meine Schwester war offensichtlich inzwischen über meinen sehnlichsten Wunsch informiert worden, sie schickte per Post den Emma-Kalender. Angeblich wegen der vielen wichtigen Adressen, die ich als Journalistin doch sicher gut gebrauchen könnte. In Wahrheit war wohl auch sie ein Wichtelopfer geworden.

Mein Haß auf den zahnenden Hund, der seinerseits glücklich mit einem Weihnachtsknochen im Katzenkorb lag, kehrte unvermittelt zurück. Hilflos vor Enttäuschung wandte ich mich an meine Freundin, die seltsamerweise schon seit geraumer Zeit um Fassung bemüht war. Als sie mir schließlich ihr Geschenk überreichte, konnte sie sich vor Lachen schon nicht mehr halten. „Mit Dir durchs ganze nächste Jahr“ stand auf dem Päckchen. Es war der „Bad-Women-Kalender '94“, und es hatte ein Scherz sein sollen.

Als ich gestern wieder in die Redaktion kam, lag auf meinem Schreibtisch ein wattierter Umschlag. „Liebe Frau Brunst“, schrieb eine mir unbekannte Dame namens Helga, „ich lese immer so gerne Ihre Kolumne auf der Wahrheitsseite. Als kleines Dankeschön möchte ich Ihnen dieses kleine Geschenk überreichen. Sozusagen von Lesbe zu Lesbe.“ Es war ein Kalender. In grünem Samt. Mit einem Baum vorne drauf. Der Frauenkalender aus dem Aenne- Burda-Verlag, mit vielen praktischen Schönheitstips. Wichteln sollte verboten werden.