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■ Archäologie: Warum es derzeit am Rhein so interessant istTennisspielen mit Schmuddelohren?

Düsseldorf (taz) – Der Pegel fällt, doch der Unrat bleibt liegen. Das Rheinufer gleicht derzeit zu beiden Seiten einer extrem in die Länge gezogenen Müllhalde. Mal säumen die Zivilisationsschmuddelreste als schmales Band die Deiche, mal liegen sie zu veritablen Kleindeponien aufgeschwemmt in der Landschaft. Angesichts der Mengen fragt man sich, ob denn die Müllabfuhren weiter stromaufwärts nicht totale Arbeitsflaute haben. Auch käme ein arg- und ahnungsloser Strandwanderer nie auf die Idee, daß dieses Land ein spezielles Entsorgungssystem für Plastikmüll sein eigen nennt. Denn gerade der bildet das hervorstechendste Element der unendlichen Uferbanderolen.

Man könnte meinen, die schwer verschuldete Duale System GmbH hätte die Gunst der Stunde genutzt und sich klammheimlich via Hochwasser großer Sammelbestände entledigt, deren ordnungsgemäßer Transport nach Bulgarien, in die Negev-Wüste oder die Mecklenburgische Seenplatte sonst wieder arg teuer gekommen wäre. Aber wahrscheinlich waren es schlicht die trennmüllsammelverdrossenen BürgerInnen in ihrem Vorweihnachts-Streß und ihrer „Nach mir die Sintflut“-Mentalität.

Die Sintflut kam, entführte Tonnen und Säcke, putzte die allgemeinen Augiasställe durch, aber spuckte den schwimmenden Schrott gleich wieder an Land. Da liegt er nun, zum Beispiel bei Rheinkilometer 749, direkt vor den Toren der Düsseldorfer Messe, wo etwa auf der „Interpack“ die Verpackungsbranche regelmäßig ihre Wachstumsraten feiert. Bis das Interpack wieder einmal in seinen Limousinen vorfährt, wird der Uferparkplatz freilich längst von all den häßlichen Ex- und-hopp-Relikten befreit sein.

Erste städtische Räumfahrzeuge wurden schon gesichtet. Doch scheinen sich ihre Besatzungen zunächst einmal nur ein Bild vom Ausmaß der unverhofften Weihnachtsbescherung machen zu wollen. Nach ersten Schätzungen beläuft sich allein im Stadgebiet von Düsseldorf die Treibgutlawine auf etliche hundert Tonnen.

Solange sie noch nicht beseitigt ist, bietet sie dem postmodernen Hobbyarchäologen und passionierten Sekundärrohstoffstöberer ein unerschöpfliches Forschungsfeld. Einige stichprobenartige Befunde seien hier schon einmal mitgeteilt: Bei den Myriaden geheimnisvoller kleiner Plastikstäbchen, welche allüberall die Grundmasse aus Hölzchen und Stöckchen, Stümpfen und Stielen durchsetzen, kann es sich offenbar nur um ehemalige Ohrpopler handeln, die sämtlich in den Fluten die Watte nicht halten konnten. In ebenfalls unerwarteter Häufung fallen ferner Sektkorken (ca. drei Stück pro qm), Überraschungseierkapseln, Nasensprayflakons, Feuerzeuge und Tennisbälle ins Auge (von Behältnissen aus den Bereichen Körper-, Küchen- und Autopflege, von alkoholischem wie antialkoholischem Einwegleergut wie von dem ungeahnten Reichtum an Styropor-Erzeugnissen reden wir erst gar nicht).

So werden erste Umrisse jener Spezies, die von der Sintflut heimgesucht ward, ihrer Lebensweise und Marotten deutlich: Sie stocherte sich zwanghaft in den Ohren herum, war in der letzten Zeit stark verschnupft, zündelte ohne Unterlaß, ließ Billigsekt (Plastikkorken!) in Strömen fließen, frönte einem ominösen Filzgummiballspiel und einem seltsamen Geschenkritus, bei dem kleine, meist gelbe zweiteilige Kapseln zum Einsatz kamen.

Noch liegt vieles im dunkeln, aber die öffentlichen Aufräumarbeiten werden nur zögernd vorankommen, und so bleibt den Archäologen vom Niederrhein eine großzügig bemessene, produktive Galgenfrist. Olaf Cless

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