Ein gültiger Paß ist kein gültiger Paß

■ Überraschende Weisung aus Bonn: Jugoslawische Reisepässe gelten weiter / Hamburger Ausländerbehörde „prüft“ Konsequenzen   Von Kaija Kutter

Seit zwei Monaten herrscht in der Ausländerbehörde das totale Chaos. Grund: Auf Weisung der Innenbehörde müssen sich alle rund 10.000 bosnischen Kriegsflüchtlinge in Hamburg einen bosnischen Nationalpaß besorgen. Und weil die jugoslawischen Pässe urspünglich ab morgen nicht mehr gültig sein sollten, standen auch die rund 25.000 Arbeitsimmigranten aus Jugoslawien um neue Papiere an.

Gestern nun gab Innenbehörden-Sprecher Peter Kelch überraschend bekannt, daß die alten jugoslawischen Reisepässe im neuen Jahr doch noch gültig sind. Ein entsprechendes Fernschreiben des Bundes-Innenministeriums sei am Montag in Hamburg angekommen. In der Ausländerbehörde wußte man gestern von diesem Brief noch nichts. Wie zuvor standen auch zwischen Weihnachten und Neujahr täglich hunderte von Menschen schon ab 2 Uhr nachts vor der Behördentür, um an eine der wenigen Wartenummern zu kommen. Denn um die Kriegsflüchtlinge dazu zu bewegen, sich einen neuen bosnischen Paß zu besorgen, wurde ihre Duldung auf vier Wochen begrenzt.

Doch auf den Ansturm von bis zu 1000 Menschen am Tag war die Behörde nicht vorbereitet. Der Neubau Amsinckstraße 34, in dem die Abteilung „Allgemeine Ausländerangelegenheiten“ untergebracht ist, hat weder eine Wartehalle noch einen breiten Fußweg. Eingepfercht in einem 50 Zentimeter schmalen Gang zwischen Absperrgittern warteten die Flüchtlinge bis zu fünf, sechs Stunden in der Kälte.

Zu dem organisatorischen Problem – das sich seit der Verlagerung der „Bosnien-Abteilung“ vor zwei Tagen in die Amsinckstraße 28 geringfügig entspannt hat – kommt das politische Problem: „Viele Menschen werden da in etwas hineingedrängt, was sie von ihrer Entwicklung her gar nicht wollen“, kritisiert Ulrich Zuper von der Arbeiterwohlfahrt. Das Bekenntnis zum bosnischen Staat werde mit dem Bekenntnis zur Kriegspartei der Moslems gleichgesetzt. Da der Paß mit dem Zeichen der Lilie versehen ist, tranportiere er moslemische Symbole. Der künstliche Zwang für die in Deutschland lebenden Flüchtlinge, sich für eine Ethnie zu entscheiden, führe zudem zu Spannungen in den Unterkünften.

Das Hamburger „Jugoslawien-Komitee“ propagiert offen die Ablehnung der neuen Pässe. Die neue Staatsangehörigkeit bedeute eine Gefahr für die Flüchtlinge und für ihre Verwandten zuhause. Vor allem für sogenannte „Mischehen“, die im ehemaligen Jugoslawien als vorbildlich galten, sei der Paß-Zwang unzumutbar. Statt der Nationalpässe, so die Forderung des Komitees, sollten die Flüchtlinge Ersatzausweise mit Lichtbildern bekommen. „Es sollte den Menschen freigestellt werden, ob sie den bosnischen Paß wollen, zumindest solange, bis der Krieg vorbei ist“, sagt Komitee-Mitglied Zdravko . Der Grafiker, der seit 25 Jahren in Hamburg lebt, will seinen eigenen Fall nutzen, um exemplarisch zu klagen. Denn nach Paragraph 39 Ausländergesetz muß ein Ersatzpapier ausgestellt werden, wenn ein Nationalpaß nicht in „zumutbarer Weise“ erlangt werden kann.

Aus diesem Grund hat NRW-Innenminister Herbert Schnoor seine Behörden angewiesen, auf Wunsch die Ersatz-Pässe auszustellen. Es könne Flüchtlingen nicht zugemutet werden, sich einem Staat zu unterstellen, „dessen Staatsform und weiterer Bestand völlig ungeklärt ist“, schrieb er an Bundesinnenminister Kanther. Insbesondere aus Bosnien stammende Serben und Kroaten könnten bei ihrer Rücckehr Repressalien ausgesetzt sein.

Ob mit der jüngsten Bonner Entscheidung das Problem nun gelöst wurde, ist fraglich. Nur die Hälfte aller bosnischen Kriegsflüchtlinge hat noch alte Pässe. „Wir werden prüfen, ob wir anders verfahren“, sagte gestern Ausländerbehörden-Sprecher Norbert Smekal. Dennoch werde es „von der Grundtendenz so sein, daß sich jeder um einen bosnischen Paß bemühen muß“. Denn nur, wer nachweisen kann, daß er aus bosnischem Gebiet stammt, könne „den Abschiebestop in Anspruch nehmen“. Bleibt der Streit: Warum dies nicht auch mit Ersatzpapieren möglich ist?