Im neuen Jahr in guter (S-Bahn-)Gesellschaft

Wie ab 1. Januar 1994 die Berliner S-Bahn privatisiert wird / Mit den Kommunen im Umland wird ein Nahverkehrsverbund gegründet, der die Strecken und Bahnhöfe „mieten“ muß / Betrieb wird vorerst vom Bund weiterfinanziert  ■ Von Dirk Wildt

Wer am Silvesterabend, in welcher Großstadt oder welchem Ballungsgebiet auch immer, S-Bahn fährt, muß sich eigentlich fragen, wie er nach dem großen Feuerwerk nach Hause kommen will – wenigstens, ob er auf dem Rückweg eine neue Fahrkarte lösen muß. Denn ab 1. Januar null Uhr gehört neben Bundes- und Reichsbahn (DB und DR) auch die S-Bahn einem neuen Unternehmen: der Deutschen Bahn Aktiengesellschaft (DB AG). Nun, es wird keine neue Fahrkarte nötig sein. Auch in den darauffolgenden Tagen und Monaten werden die altgewohnten Tickets bleiben, auf denen nur das Emblem geändert wird. Die Abkürzungen DB oder DR werden durch ein kaum verändertes DB-Signet ersetzt. Und doch wird sich alles ändern.

In Berlin bastelt die Noch-DR an einer neuen Gesellschaft: Im kommenden Jahr soll aus der S-Bahn eine GmbH werden, deren Geschäftsführer ausgerechnet der Chef der Olympia GmbH, Axel Nawrocki, werden soll. Die S-Bahn-Gesellschaft, Tochter der neuen Deutschen Bahn, ist dann allerdings weder im Besitz des Schienennetzes noch der Bahnhöfe. Von der Prozedur her müßte die GmbH beides mieten. Doch wie hoch die Miete für die Infrastruktur sein wird, weiß heute niemand. Ernst wird es deshalb auch erst, wenn die DB AG in weitere Aktiengesellschaften aufgesplittet wird und die S-Bahn-Gesellschaft wie auch mögliche private Konkurrenten jeden gefahrenen Kilometer auf Heller und Pfennig bei der Fahrweg AG berappen müssen. Die DB AG werde in weitere Unternehmen aber frühestens 1997 gesplittet, erklärte Werner Remmert, bis Ende des Jahres Präsident der Reichsbahn-Direktion Berlin und ab dann Konzernbevollmächtigter in der Region. Doch was soll das Ganze, wenn die heutigen 750 Zugpaare auf dem rund 300 Kilometer langen S-Bahn-Netz mit seinen über 200 Bahnhöfen weiter so zuckeln und ruckeln wie bisher? In vermutlich vier Jahren zuckelt und ruckelt gar nichts mehr – wenn die Züge nicht von irgend jemandem gemietet werden. „Mieter“ sind die Kommunen – Berlin und die Umlandgemeinden. Sie werden später die Fahrpläne ihrem Bedarf und Etat entsprechend zusammenbasteln lassen. Die Bahn ist für die kommenden vier Jahre verpflichtet, die S-Bahn mit dem heutigen Angebot weiterzubetreiben. Im Gegenzug wird der Betrieb vorerst vom Bund weiterfinanziert. Ab 1996 zahlt der Bund dann direkt an die Kommunen. Berlin erhält 520 Millionen Mark und 1997 630 Millionen Mark.

Diese dreistelligen Millionen- Beträge zahlt das Land nicht an die S-Bahn-Gesellschaft, sondern an den Nahverkehrsverbund, der im Frühjahr kommenden Jahres von der Stadt gemeinsam mit den benachbarten acht Kommunen gegründet werden soll. Dieser Verbund wird später dem Auftrag der Kommunen entsprechend einen Fahrplan erstellen und dann S-Bahn-Linien oder mögliche billigere Privatanbieter mieten.

Von dieser Art der Privatisierung unberührt bleiben die U-Bahn, die Tram und jene Buslinien, die nicht von der Reichsbahn betrieben werden. Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), mit 1.600 U-Bahn-Fahrzeugen, 992 Straßenbahn-Wagenpaaren, 2.000 Bussen und rund 26.000 Mitarbeitern Europas größtes kommunales Verkehrsunternehmen, gibt es zwar auch Privatisierungsbemühungen. So werden schon heute einzelne Buslinien von Privaten bedient oder sollen Aufgaben wie Reparaturen an Fremdfirmen vergeben werden. Auch wird der Eigenbetrieb des Landes zur Jahreswende in eine Anstalt öffentlichen Rechts gewandelt, in dessen Aufsichtsrat der Senat vertreten ist. Eine Aufteilung in Betriebe wie einer Fahrweg AG, der etwa das Schienennetz gehörte, wird aber nicht diskutiert. So gibt es ab 1998 die kuriose Situation, daß auf dem S-Bahn-Netz der billigste Anbieter fahren kann, die U-Bahn aber rumpelt außerhalb der Marktwirtschaft.