Böllern mit 800 Tonnen

■ Großhandel ist mit dem Verkauf von Feuerwerkskörpern zufrieden / Besorgnis über die Zunahme von Unglücksfällen

Für etwa zehn Millionen Mark werden BerlinerInnen heute Nacht das neue Jahr „anschießen“. Doch auch diesmal werden einige der 800 Tonnen Raketen und Knaller, die voraussichtlich abgefackelt werden, Menschen verletzen und Brände verursachen.

Vor allem den Rettungsdiensten wird beim Blick auf die Statistiken der Vorjahre angst und bange. So stieg die Zahl der Feuerwehreinsätze zum Jahreswechsel 92/93 zwischen Mitternacht und sechs Uhr im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel auf über 1.000. Beim Böllern verletzten sich 437 Menschen, so Feuerwehrsprecher Klaus Ziegler. Im Jahr davor waren es noch ein Viertel weniger. Fast die Hälfte der Leidtragenden waren Kinder und Jugendliche. Zum Vergleich: In Hamburg gab es vor einem Jahr 61 Verletzte. Es scheint so, daß die BerlinerInnen im Umgang mit der Pyrotechnik sorgloser werden. Denn die Umsätze der Kracher-Industrie stagnieren seit drei Jahren bundesweit bei 130 bis 140 Millionen, aber die Zahl der Verletzten steigt. Die Großhandelsfirma Pyro in Berlin erwartete nach Angaben ihres Sprechers Michael Kandler zuerst rückläufige Zahlen. Dank des guten Wetters läuft es jetzt aber wunschgemäß. „Wenn's so bleibt, gibt's einen kompletten Ausverkauf“, meinte er gegenüber der taz. Bereits gestern nachmittag waren die Lagerhallen fast leer. Im Angebot hat die Firma auch die Taifun- Rakete – der Umwelt zuliebe. Diese ist nämlich zu 100 Prozent aus recyceltem Material hergestellt. Eine Art wiederverwertbare Challenger-Rakete mit grünem Punkt gibt es nach Informationen der taz aber noch nicht.

Das würde auch die ohnehin schon geplagte Berliner Stadtreinigung zur Verzweiflung bringen. Dann müßten die Arbeiter die 800 Tonnen Raketenhüllen und Böllerfetzen, die nach der Einschätzung von Bernd Müller von den Stadtreinigungsbetrieben herumliegen werden, nach dem ominösen Punkt absuchen. Die 800 Tonnen Abfall sind fast die Menge Straßenunrat, die sonst in zwei Monaten anfällt.

Ganz andere Probleme hat Cetin Bektar. Er verkauft am S-Bahnhof Friedrichstraße Feuerwerkskörper – zum ersten Mal im Ostteil der Stadt. Das ist für ihn auch der Grund, wieso es dieses Jahr nicht so gut läuft wie gewünscht: „Die Kunden sind auf bestimmte Produkte fixiert. Wenn sie etwas nicht kennen, kaufen sie's nicht.“ Dabei seien meistens nur die Namen der Produkte anders. „Was jetzt Goldregen heißt, hieß früher Harzer Knaller, und Frösche kennen die meisten gar nicht.“

Um Unglücksfälle bei der Lagerung der Leucht- und Knallkörper zu verhindern, haben das Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (LAfA) und der Gewerbeaußendienst der Polizei eine Art Eingreiftruppe aufgestellt, die Lager und Läden überprüfen. Bis gestern nachmittag hatten die Beamten – vor allem wegen unsachgemäßer Lagerung – über vier Tonnen Knaller beschlagnahmt. Martin Hörnle