■ Nebensachen aus Rom
: Schweizer Kracher als illegaler Waffenbesitz

„Am Anfang“, erinnerten sich die drei Jungen aus dem neapolitanischen Vorort Camaldoli, „da fühlten wir uns richtig geehrt, trotz unserer Schmerzen – zwei Polizeiwagen als Eskorte neben unserem Krankenwagen: Wir dachten, die halten uns sicher für Camorra-Opfer.“

An der Krankenhauspforte setzten die Ordnungshüter jedoch düstere Mienen auf: Den älstesten der drei, den 15jährigen Giovanni, brachten sie trotz seiner frischverbundenen Hand ins Polizeipräsidium, die beiden anderen, Carmelo und Gennaro, beide 13 und mit Kopfverband, eskortierten sie nach Hause – und nahmen dafür deren Väter zur Wache mit. Anschuldigung: Illegaler Sprengstoffbesitz.

Der „illegale Sprengstoff“ waren Schweizer Kracher gewesen, die eine Gruppe Jugendlicher auf einem alten Baugelände hatte explodieren lassen; ein noch zusammengebundener Viererpack hatte sich dabei zu einer Art Rakete entwickelt und die drei verletzt – ohne daß sie selbst am Herumwerfen beteiligt waren. Doch der Polizeichef Neapels belangt, wie übrigens auch die Chefs der Ordnungsämter anderer mittel- und unteritalienischer Provinzen, seit einem Jahr auch „passive Teilnehmer an solchen Feuerwerksaktionen“.

Gesetzliche Grundlage dafür ist ein Dekret aus dem Vorjahr, das nicht nur die Herstellung und den Besitz von Sprengstoff strafbar macht, sondern auch die nicht von Behörden genehmigte Verwendung selbst noch so kleiner Mengen. Damit hat „jeder Bürger die Pflicht, Personen anzuzeigen, die er im Besitz von Sprengstoff weiß“. Wer bei Feuerwerksexplosionen verletzt wird, so der schlaue Schluß der Obrigkeit, muß jedenfalls bemerkt haben, daß die anderen Knaller besaßen und hätte sie anzeigen müssen. Darüber hinaus gilt: „Eltern haften für ihre Kinder.“

Der Polizeichef von Catanzaro in Kalabrien, Gianni Carnevale, sattelte noch eins drauf: Er buchtete auch die Wohnungsbesitzer ein, in deren Heim es knallt: „Die Schutzbehauptung, man habe nichts von der Existenz der Kracher im Eigenheim gewußt, zählt nicht – der Hausherr muß wissen, was in seiner Wohnung lagert.“

Die auf den ersten Blick eher rabulistische Logik ist nicht ganz ohne Sinn. Italien ist europaweit die Hochburg illegaler Fabriken zur Herstellung von Feuerwerkskörpern, und jedes Jahr kommen zwischen Weihnachten und den Heiligen Drei Königen mehr als drei dutzend Personen um. Oft sind die Knaller bar jeden Sachverstands hergestellt, oder sie werden ohne hinreichend absichernde Anleitung verkauft. „Der Weg über die Opfer ist der einzige, wie wir an die Substanz herankommen“, sagt Neapels Polizeichef Ciro Lo Mostro, „so lange sich die hinter dem ,Ich weiß nicht, wer es war‘ verstecken können, halten die den Mund; haue ich ihnen eine Strafe drauf, erinnern sie sich plötzlich, wer die Dinger gezündet hat.“

Im Vorjahr konnte Mostro 70 Personen aus dem Krankenhaus heraus vor Gericht bringen lassen; diesmal „können es auch tausend und mehr werden“. Daß die Neapolitaner angesichts solcher Aussichten bei Verletzungen nicht mehr den Notarzt oder das Krankenhaus aufsuchen und die Camorra illegale Ambulanzen und Krankenstationen für Knallergeschädigte einrichtet, sieht der Oberpolizist durchaus als möglich an – „doch der Eindämmungseffekt war schon im Vorjahr recht ansehnlich; und wenn's nicht anders geht, werden wir auch einen Spürtrupp für anzeigeunwillige Notärzte einrichten“.

Was bleibt da den knallerverliebten Süditalienern übrig? Die Polizeichefs wissen Rat: „Bevor es diese grauenhaften Sprengsätze gab, wurde auch Silvester gefeiert und Lärm gemacht – warum nicht zu diesen Zeiten zurückkehren?“ Noch in den 50er Jahren, als die Menschen ärmer waren, sammelten die Familien das ganze Jahr über kaputtgegangene Teller und Schüsseln – und die wurden zu Neujahr aus den oberen Stockwerken der Häuser geworfen. „Das schepperte mindestens genauso schön“, erinnert sich ein Polizist.

Was er nur hinzuzsetzen vergißt: die Verletzungsrate war damals auch nicht ohne. Sie betraf vor allem Passanten, die von Silvesterfeiern heimkehrten und denen unversehens ein Teller aus dem vierten Stock auf dem Kopf landete. Werner Raith