Die Zeit der Bevormundung ist vorbei

Das UN-Jahr der indigenen Völker geht zu Ende / Eine BIlanz am Beispiel Lateinamerikas / Indigena-Organisationen kämpfen für Änderungen im internationalen Recht  ■ Von Dawid Bartelt

Berlin (taz) – Das UN-Jahr der indigenen Völker – war da was? Wie so oft bei solchen aus Organisationsköpfen geborenen Jahren hat sich für die Gemeinten unmittelbar und spürbar nichts verbessert. Im Falle Lateinamerikas geschahen die schlimmsten Massaker an den brasilianischen Yanomami in den letzten Jahren gerade 1993. „Und die Invasionen auf unsere Gebiete, von Siedlern, Goldgräbern und Holzfirmen, gehen unvermindert weiter“, klagt Joao Saterê von der Koordination der Indigena-Organisationen im brasilianischen Amazonasgebiet. Dabei hat die neue Verfassung von 1988 die Gebiete der Indigenas genau festgeschrieben und ihre Demarkierung bis Ende 1993 festgesetzt. Die Verfassung erkennt auch erstmals die ethnische und kulturelle Identität der indigenen Völker auf brasilianischem Boden an.

Daß es damit nicht getan ist, zeigen die Erfahrungen aus anderen Ländern. Die Gesellschaften Kolumbiens, Perus, Ecuadors, Nicaraguas und Panamas bezeichnen sich laut Verfassungstext als multiethnisch und multikulturell, zum Teil schon seit vielen Jahren. Doch der Konflikt um die effektiven Eigentums- und Verfügungsrechte der indigenen Territorien ist auch in diesen Ländern keineswegs ausgestanden.

Die brasilianische Regierung hat die Indigena-Gebiete bisher nur zu einem kleinen Teil demarkiert und anerkannt. Chiles Parlament hat vor zwei Monaten ein umfassendes Indigena-Gesetz verabschiedet. Es bestätigt die Eigentumsrechte für das Land, das die Mapuche oder eines der anderen sieben indigenen Völker Chiles im Moment bewohnen. Außerdem wurde ein Fonds für Entwicklungsmaßnahmen eingerichtet, den Völkern wird dabei kommunale Selbstverwaltung gemäß ihren eigenen Traditionen und Sprachen zugestanden.

Doch in zentralen Fragen bleibt dieses neue Paragraphenwerk weit hinter den Forderungen der Indigenas, aber auch hinter internationalen Texten wie der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zurück. Die Anerkennung als „Völker“ und damit die Voraussetzung, um überhaupt weiter um mehr Selbstbestimmung kämpfen zu können, wurde den Indigenas Chiles verwehrt.

„Gemeinschaften“, allenfalls „Ethnien“ sind sie nun vor dem Gesetz. Zweites Problem: die Bodenschätze. „Das ist der große Haken an dem neuen Gesetz“, bemängelte José Linoñir Cumilaf vom Kommunalrat der Mapuche in Freire. Bei Landtiteln wird den indigenen Völkern in der Regel nur das Eigentum an der Landoberfläche zugestanden. Das Eigentum an etwa im Boden befindlichen Mineralien behalten sich die Staaten vor, so auch in Chile.

In Ecuador verlagert die Regierung beispielsweise die Erdölförderung immer weiter in die Gebiete der Indigenas im Amazonasgebiet hinein. Gemäß geltendem Recht, daß der Boden, tiefer als 30 Zentimeter unter der Oberfläche, dem Staat gehöre, bohrt in Pastazas seit einem Jahr die US-amerikanische Firma Arco mit Konzession der Regierung auf Territorien der Indigenas nach Öl. Bereits 18 Dörfer seien von dem auslaufenden Öl bedroht, berichtet Galo Villamil, Vertreter der Indigenas aus der ecuadorianischen Provinz Pastazas. Deshalb sei jetzt geplant, die Bohrstelle zu besetzen. Im November haben ecuadorianische Indigenas den Ölmulti Texaco in New York wegen massiver Umweltverschmutzung bei Bohrungen im Amazonasgebiet verklagt.

Solche Aktionen illustrieren, daß die Organisationen indigener Völker gelernt haben, sich auf harte politische und juristische Fakten zu konzentrieren, um ihren Forderungen mehr Gewicht zu verleihen. „Die Zeit der bevormundenden und folkloristischen Behandlung der indigenen Völker ist jetzt vorbei“, stellte der ehemalige Senator Gabriel Muyuy von der Nationalen Organisation Kolumbianischer Indigenas fest. Das schließt auch den jüngsten europäischen Bevormundungsversuch ein, nämlich die Indigenas zu sogenannten „Hütern der Erde“ zu ernennen.

Joao Saterê trägt den von den Vätern ererbten Federkopfschmuck ebenso souverän wie anderntags das schlichte Grau in Grau europäischer Konferenzprofis. Dann heißt er auch nicht mehr Saterê (vom Volk der Saterê- Mawê), sondern Ferreira de Souza, mit Telefon- und Faxnummer auf der Visitenkarte. Die Lobbyarbeit dieser ersten Generation von Indigena-Funktionären zielt auf die Stärkung ihrer Position im internationalen Recht.

Der bisher fortschrittlichste Text ist die ILO-Konvention 169 aus dem Jahr 1989. Sie geht vielen Indigenas inhaltlich nicht weit genug; ihre größte Schwäche ist jedoch, daß bis heute lediglich vier Staaten auf der Erde den Text ratifiziert haben. In der UNO wird zur Zeit eine Konvention über die Rechte indigener Völker ausgearbeitet, die auf der ILO-Konvention fußt. Zentrale Streitpunkte sind auch hier die Definition von Selbstbestimmung für die indigenen Völker – Autonomie oder Selbstverwaltung? – und die Kontrolle der Bodenschätze.