Panoptikum der Ungetüme

■ „Unheilbar deutsch“ im TiK: Ungenaues Dokumentartheater über rechtsradikale Deutsche

Die notwendige Frage, wie man die Persönlichkeit von Rechtsradikalen dokumentiert, hat seit dem fatalen Gezerre - von Diskussion verbietet sich hier zu sprechen - um den Film Beruf Neonazi einen neuen Stellenwert erhalten. Denn daß eine angeblich gesunde Demokratie auf die filmische Beobachtung eines eitlen rechtsradikalen Sprücheklopfers nahezu hysterisch reagiert und alle Tabuisierungsmaßnahmen vom Diskussionsverbot über Selbstzensur bis zu rechtlichen Schritten ausschöpfen muß, zeigt ja erst einmal nur eine peinliche Verlegenheit: Weil man tatsächlich nichts über den „Mensch Neonazi“ wissen möchte, verhält man sich so, als wisse man bereits alles und dreht den moralischen Lautsprecher auf. Nur durch die Brille der Didaktik erträgt der Moralist vom Spiegel-Redakteur bis zum Kulturpolitiker die Wirklichkeit, und wo sie fehlt, da zuckt in ihm der Diktator.

Die Frage im künstlerischen Umgang mit dem „Mensch Neonazi“ darf aber nicht sein: „Kann man mit dem richtigen Gewissen aus Versehen die falsche Propaganda schaffen“, sondern muß sich erst einmal auf das wer, warum und wie konzentrieren. Zumindest solange bis in der Öffentlichkeit ein auch nur annähernd korrektes Bild vom neuen Typ des Faschisten entwickelt ist. Und daß dies ganz offenkundig noch lange nicht der Fall ist, zeigt auch ein weiterer Versuch - diesmal vom Thalia-Theater - deutsche Rassismen und Chauvinismen dokumentarisch darzustellen.

Vorlage des Theaterstückes Unheilbar deutsch, das am Freitag im TiK Premiere hatte, ist der gleichnamige Band mit Interviews, die Peter Sichrovsky mit Deutschen geführt hat, die sich selbst als rechts bis extrem rechts einstufen. Aus fünfzig Gesprächen, die er gemeinsam mit zwei Kolleginnen geführt hatte, wählte er dreizehn sehr unterschiedliche Fälle für Unheilbar deutsch aus. Vom No-Future-Schläger bis zum „linken“ Nationalsozialisten, von der sich betrogen fühlenden Hausfrau und dem Mädchen aus der DDR bis zum Funktionär reicht die Auswahl.

Diese Selbstbildnisse will Regisseurin Barbara Kröger sozusagen in fleischlicher Verdoppelung als Dokument auf die Bühne stellen. Doch da auch sie sich anscheinend zu sehr vor diesen Charakteren fürchtet, um sie getreulich zu recherchieren, erreicht sie nicht mehr, als ein sprechendes Panoptikum. Szene für Szene erhebt sich ein Schauspieler aus dem Zuschauerraum, wohl um uns zu zeigen, daß das Entsetzen mitten aus der Masse heraus geboren wird, und tritt in die dreifach verschachtelte Guckkastenbühne, und so erzählt einer nach dem andern von seinem Schicksal. Die Nicht-Regie von Kröger führt dazu, daß die Darsteller, scheinbar völlig unterfordert oder total fehlbesetzt, ihre Texte ohne jede Überzeugungskraft herunterreden. Weder der Konflikt der linken Spießerin (Angelika Thomas) mit ihrer Tochter (Nicola Thomas), die in der rechten Subkultur nach Action und „gerechten“ Leitbildern sucht, noch die gewalt-geilen rechten Revolutionäre (Stephan Lohse und Dorothee Reinoss) oder der national-gesinnte Geschichtslehrer (Josef Bilous) vermitteln Glaubwürdigkeit und die Faszination rechten Gedankenguts.

Wer sich aber der löblichen Tortur unterzieht und menschliche Ungetüme als Dokumentartheater auf die Bühne bringt, der hat die Schuldigkeit, haarklein zu recherchieren und in aller Brutalität genau zu zeichnen. Wenn man dazu nicht willens oder in der Lage ist, dann sollte man doch lieber sein Theater für eine Vorführung von Beruf Neonazi zur Verfügung stellen. Über diesen Film kann man wenigstens diskutieren. Till Briegleb