Hotte, Hanf und Ha Es Vau

■ Ein Rückblick auf die dramatischen Geschehnisse des Sportjahres 1994   Von Kai Rehländer

15. Januar 1994: Das Jahr beginnt mit einem Paukenschlag beim FC St. Pauli. Stolz präsentiert Heinz Weisener, 1. Vorsitzender des Vereins, der erstaunten Öffentlichkeit den neuen sportlichen Direktor des Kiezclubs: Horst Hrubesch, ehemaliger Nationalstürmer des Lokalrivalen HSV, soll den St. Paulianern die nötige Kreativität für den Aufstieg in die Bundesliga verpassen. Schon in der ersten Pressekonferenz überzeugt der Mann, mit der Stirn, die Deutschland 1980 zum Europameistertitel köpfte, durch klar verständliche Anweisungen: „Ich sach', Leo, tu ihm ihn rein, und dann wird Leo ihm ihn reintun, so einfach ist Fußball“.

Michael Stich triumphiert in seiner Heimatstadt

20. Februar 1994: Nachdem Michael Stich ohne große Schwierigkeiten auch das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres, die Australian Open, gewinnen konnte, triumphiert er auch in seiner Heimatstadt Elmshorn. „Schon als kleines Kind haben mich meine Eltern immer mitgenommen, und ich habe hier wirklich große Siege gesehen, und daß ich hier gewonnen habe, ist für mich ein besonderes Erlebnis. Mein ganzer Dank gehört natürlich einer Person: Danke, Jessie“, flennt Michael Stich, mit Tränenbächen auf den Wangen, den erstaunten RTL-Reportern ins Mikrofon, kurz nachdem er an einer Losbude zwei Freilose gewonnen hat.

23. März 1994: Aus dem Pferdesport gibt es eine Riesen-Überaschung zu vermelden. Autohersteller BMW gibt bekannt, daß der Konzern nicht mehr bereit ist, weiterhin das Deutsche Galoppderby in Hamburg-Horn zu sponsern. „Das mit dem Imagetransfer hat einfach nicht hingehauen“, äußert sich ein konsternierter BMW-Sprecher gegenüber der taz: „Die neueste Generation von Airbags ließ sich nur schlecht einbauen, der Seitenaufprallschutz war auch nur unzureichend zu realisieren. Zudem: Haben Sie schon einmal versucht, ein Pferd tieferzulegen und ein sportliches Fahrwerk einzubauen?“. Ausschlaggebend war, laut Insider-Informationen, aber die hohe Unfallquote bei den hindernisreichen Jagdrennen, bei denen im vergangenden Jahr mehrere Pferde zu Tode stürzten. Damit hat der neue Sponsor des Pferdespektakels keine Schwierigkeiten: Tierfutterfabrikant Chappi beabsichtigt nach dem Rennereignis eine Sonderkollektion herauszugeben: Platini-Special für den verwöhnten Pinscher– „Frisch von der Rennstrecke in den Napf“.

21. April 1994: „Eisen-Dieter“ Schlindwein, Mannschaftskapitän des Zweitliga-Tabellenführers FC St. Pauli, gibt beim Länderspiel gegen England sein Nationalmannschafts-Debüt. „Er ist eine feste Größe auf der Spielmacherposition für die Weltmeisterschaft in den USA“, wird „Eisen-Dieter“ von Bundestrainer Berti Vogts gelobt, der aus Rücksicht auf die deutschen Tugenden für die Welttitelkämpfe die Zehnerabwehrkette erdacht hat.

Bobbele Topfavorit am Rothenbaum

2. Mai 1994: Boris Becker, inzwischen auf den 35. Weltranglistenplatz zurückgefallener Tennisstar, hat überraschend für die German Open nachgemeldet. Zwar hat der Neuvater noch gewisse Schwierigkeiten mit den Schlägern seiner neuen Ausrüsterfirma, der Bobs-Sandkasten-Collection von Fisher-Price, doch er sieht gute Chancen, endlich einmal in Hamburg zu gewinnen. Die Chancen steigen immens, als Seles-Attentäter Günter Parche verkündet, er sei jetzt Boris-Becker-Fan und könnte nicht ertragen, daß Boris nicht mehr Nummer 1 der Weltrangliste ist...

15. Mai 1994: Schon bei der Eröffnung des Deutschen Turnfestes in Hamburg kommt es zum Eklat. Friedel Gütt, Präsident des Hamburger Sport-Bundes, brüskiert den Hauptsponsoren, den Scheiblettenhersteller Kraft, der die Turnenden mit Vollwertkost abfüttert. „Wir können uns als Sport nicht leisten, mit irgendetwas behangen zu werden. Vollwertkost, Radfahren, Ausländer, wie auch immer“, äußert sich Gütt, der schon im Vorjahr wegen frauenfeindlicher Äußerungen in den Schlagzeilen war, in einem Fernseh-Interview mit Tagesthemenmoderatorin Birgit Schanzen.

Bundesliga Aufstieg des FC St. Pauli

11. Juni 1994: Die Reeperbahn wird braun-weiß gestrichen. Dank der besonderen taktischen Raffinesse von Horst Hrubesch ist der FC St. Pauli wieder in die Bundesliga aufgestiegen, nachdem der HSV souverän einen UEFA-Cup-Platz erheischen konnte. Junge, hungrige, dynamische Neuverpflichtungen wie André Golke, Hansi Bargfrede, Franz Gerber, Sonny Wenzel, Volker Ippig und Walther Frosch haben unter der Ägide von Hotte die einmalige Serie von 38:0 Punkten vollbracht.

4. Juli 1994: Das Rätselraten ist zu Ende: Stolz, mit einem insichgekehrten Lächeln auf den Lippen, gibt HSV-Manager Heribert Bruchhagen bekannt, wer der neue Sponsor des Vereins ist. Deutscher Hanf ziert nunmehr die Brust des Fußballbundesligisten. Möglich geworden ist das Engagement des Grünzeugmultis, der dem HSV neben einer Reihe von Sachleistungen noch etwa 10 Millionen Mark jährlich zur Verfügung stellen will, durch Ex-Präsident Jürgen Hunke, der kurz nach dem Ende der Prohibition Kontakt zu der Firma aufgenommen hat. „Jetzt soll noch jemand behaupten, wir tun nichts für unsere Fans“, verlautbart Hunke in gewohnt psychedelischem Outfit.

Markus Bott wieder Box-Weltmeister

8. August 1994: Der Kampf des Jahrhunderts. Ex-WBO-Box-Weltmeister Markus Bott erhält eine weitere Chance. Im Leicht-Halb-Mittel-Schwer-Gewicht, der sogenannten Cruiser-Light-Klasse in der Version der Universal-Fisting-Organisation (UFO), des achtundzwanzigsten großen Weltboxverbandes mit Sitz in Paderborn, soll er nun gegen die wiederaktivierte deutsche Faustkampf ikone Bubi Scholz unter Beweis stellen, daß er zu den ganz großen Nummern im Boxsport zählt. „Das wird das größte Boxereignis, das Hamburg je gesehen hat“, frohlockt Boxpromoter K.P. Kohl. Der übertragende Sender versucht, trotz schlechter Erfahrungen mit Mickey Rourke im Vorjahr, durch ein showboxerisches Rahmenprogramm, in dem Rocky Sylvester Stallone sämtliche Film-Kämpfe in echt nachstellt, für ein einmaliges Erlebnis sorgen.

15. September 1994: Überraschung auf der St. Pauli-Jahreshauptversammlung. Nachdem die Zuschauerzahlen im Wilhelm-Koch-Stadion wegen der neuen Attraktivität der Volkspark-Arena zurückgegangen sind, gehen die St. Pauli-Fans in die Offensive und präsentieren einen eigenen Kandidaten für die Wahl des Vereinspräsidenten. Jürgen Hunke, vormaliger HSV-Präses, Einleiter des HSV-Hanf-Deals, soll von nun an die Geschicke des Vereins leiten. „Wer ist schon der Deutsche Ring. Auch der FC St. Pauli braucht Sponsoren, mit denen sich der Fan identifizieren kann. Hunke hat uns versprochen, etwas für die Stadionbegrünung zu tun“, freut sich Sven Brux, Leiter des St. Pauli-Fanladens nach der erfolgreichen Kür seines Kandidaten.

4. Oktober 1994: Die Schlacht hinter den Kulissen ist beendet. Als Sieger um die Übertragungsrechte für die Hallenmikado-Champions-League ist der Privatsender SAT 1 hervorgegangen, der etwa 500 Millionen Mark für zwei Jahre bezahlen will. Zweiter Sieger ist neben dem Fan, der durch ungewohnte Kameraperspektiven, einer Super-Super-Super-Slow-Motion und mehreren In-Stab-Kameras bestens bedient wird, der Pay-TV-Sender Premiere, der die Rechte für das Topspiel der Woche erworben hat.

Volksparkstadion: Bastion des Friedens

14. November: Andächtige Stille im Volksparkstadion. Wo noch vor einem halben Jahr Fan-Gesänge vorherrschten, wird während des Spieles leise aber intensiv Pink Floyd gespielt. Der Duft frischverbrannter Kräuter liegt in der Luft der vormals Holsten-Ekel-geschwängerten Atmosphäre der Westkurve. Das Fußballfachmagazin Kicker konstatiert zum Kick des Hamburger SV, der nun souverän die Bundesligatabelle anführt: „Das ist eine fußballerische Bewußtseinserweiterung.“