: 1994: Politik mit dem Rotstift
■ Kleine Vorausschau auf die Schlagzeilen des Jahres: Finanzkrise, Senatsumbildung, Verkehrspolitik Weidedamm...
Zumindest in einem Punkt sind sich Opposition und Ampelkoalition einig: Politik wird im neuen Jahr vor allem mit dem Rotstift geschrieben. „Wir werden die Haushaltsentwicklung genau beobachten“, kündigt zum Beispiel CDU- Fraktionschef Peter Kudella an, „und sehen, ob wir in Bezug auf die Vorgaben des Sanierungsprogramms eine erste Bauchlandung machen.“ Doch während die CDU mit Blick auf die nächste Bürgerschaftswahl im September 1995 geradezu auf das Scheitern des im Dezember mit viel Qual verabschiedeten Ampel-Haushalts hoffen muß, bringt die Umsetzung der selbstgesetzten Sparzwänge für die Regierungsparteien eine Zitterpartie in umgekehrter Richtung. „In der Frage, ob der Haushalt so läuft, wie wir es beschlossen haben, werden sich alle das ganze Jahr über fürchterlich beißen“, ahnt SPD- Fraktionsvorstand Reinhard Barsuhn voraus.
Es wäre kaum ein größeres Fest für die Opposition denkbar, als wenn die Ampel am Ende des Jahres 1994 eingestehen müßte, daß trotz der Milliardensubvention des Bundes Bremens Schulden weiter steigen. Der Schuldenabbau in Höhe von 300 Millionen Mark, der im verabschiedeten Haushalt vorgesehen ist, könnte schnell weiter schrumpfen. „Kommt Klöckner über den Berg? Bricht der Vulkan zusammen?“, sind denn auch die Fragen, die SPD-Fraktionsvorstand Barsuhn besondere Sorgen machen. Sollte es da Probleme geben, „dann würde das wieder fürchterlich viel Geld kosten“, ahnt er.
Die Personalie des Jahres 1994: Wird sich Volker Kröning gegen Horst Isola im Kampf um das SPD- Bundestagsmandat im Bremer Osten durchsetzen? Und falls ja, wer wird dann seinen Stuhl im „Haus des Reichs“ besetzen? Nicht nur für die SPD, für die gesamte Ampelkoalition birgt diese Frage 1994 womöglich die größte Gefahr. „Nach unseren knapp gescheiterten Mißtrauensanträgen gegen Arbeitssenatorin Uhl und Umweltsenator Fücks ist es fraglich, ob ein neuer Senator der Ampel überhaupt noch eine Mehrheit finden kann“, freut sich Oppositionsführer Kudella. Und auch sein Gegenüber Reinhard Barsuhn sieht in dieser Frage eine „Nagelprobe in der Fraktion“ auf sich zukommen. Denn noch hat sich keiner der Ampel-Abgeordneten bekannt, die im vergangenen Jahr gegen Uhl und Fücks gestimmt hatten.
Die FDP möchte den von Krönings Ausscheiden gegebenen Anlaß sogar gleich dazu nutzen, den Senat um den Posten des Häfensenators zu verkleinern. Der sei nun wirklich überflüssig, betonen FDP- Fraktion und die FDP-Senatoren Jäger und van Nispen seit Monaten unisono. Wie in Hamburg solle die Häfenpolitik doch am besten vom (FDP-)Wirtschaftssenator miterledigt werden.
Nicht nur die Kröning-Nachfolge, auch die Kröning-Kandidatur für Bonn wird der SPD noch manche Sorge machen. Denn Vorgänger Waltemathe hatte den Wahlkreis im Bremer Osten vor vier Jahren nur noch ganz knapp gegen Bernd Neumann gewonnen. „Das hängt jetzt ganz stark davon ab, wie stark die Partei mitarbeitet“, weiß Barsuhn. Kudella sieht es ähnlich: „Wir sind psychologisch in hohem Maße vom Ergebnis der Bundespartei abhängig, und darum werden wir uns ganz tief in den Wahlkampf knien.“ Parteiintern haben die Bremer Christdemokraten zuvor auch noch ein Kandidatenproblem zu lösen: Gegen den Bonner Abgeordneten Günther Klein will Michael Teiser antreten.
Auf der Abschußliste der CDU steht zudem noch immer Gesundheits- und Sozialsenatorin Irmgard Gaertner. „Wir lassen derzeit prüfen, welche Konsequenzen das Blohm-Urteil für den Fall Gaertner hat“, sagt Peter Kudella. Ähnlich wie im Fall der DVU-Abgeordneten ist auch bei der SPD-Senatorin umstritten, ob sie tatsächlich – wie es das bremische Gesetz vorschreibt – drei Monate vor ihrer Wahl in Bremen gewohnt hat. Blohm hatte ihr Wahlprüfungsverfahren im Dezember allerdings letztinstanzlich gewonnen.
Die Umsetzung des Bremer „Sanierungsprogramms“, das ist das große politische Thema des neuen Jahres. Aber ob es auch das Thema ist, mit dem am meisten Politik gemacht wird, kann bezweifelt werden. Denn oft sind es ja neben den Personalien gerade die finanziellen „Petitessen“ a la „Millionenpfad“ oder Teerhofbrücke oder die symbolischen Konflikte, die das politische Tagesgeschäft bestimmen. Und auch in diesem Bereich hat 1994 einiges zu bieten.
Da wäre zunächst der Weidedamm III. Für Ralf Fücks steht hier die Frage auf der Tagesordnung, ob er einen offenen Kampf um die Kleingärten, die den Neubauwohnungen weichen sollen, verhindern kann. Vor allem innerhalb der eigenen grünen Partei könnte ihn ein eskalierender Konflikt schnell in Schwierigkeiten bringen. Bis heute jedenfalls gibt es keine Einigung über einen möglichen Ersatzstandort für das Öko-Wohnprojekt. In dieser Frage hat das Pokerspiel gerade erst begonnen.
Auch ein weiteres Reizthema für das grüne Klientel, die Außenweservertiefung und der Bau des milliardenschweren Containerterminals III in Bremerhaven, kommt 1994 auf die Tagesordnung. Bald nämlich wird 5zer Senat über die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Umweltverträglichkeitsstudie entscheiden müssen. Umweltverbände haben bereits ihren Widerstand gegen die weitere Baggerei angekündigt.
Aber ein besonders hoher Rang im Wettbewerb der Schlagzeilen wird dem CTIII denn doch nicht zugetraut. In Spitzenposition sehen PolitikerInnen aller Fraktionen dagegen wieder einmal die Verkehrspolitik, insbesondere die Frage einer autoarmen Innenstadt und die Verkehrsberuhigung des Ostertorsteinwegs. „Bei dem Thema stirbt jeder für sich allein“, weiß die grüne Fraktionsvorständlerin Karoline Linnert, „aber besonders für die SPD wird das ein schreckliches Hickhack geben.“ Hat sich doch gerade erst im Dezember des vergangenen Jahres die Fraktion mit dem Abblasen des Versuchs einer Martinistraßen-Beruhigung in krassen Widerspruch zu den Beschlüssen ihrer eigenen Partei – und dem Koalitionsvertrag der Ampel – manövriert.
Und neben dem Tanz um das goldene Blech-Kalb der Autogesellschaft wird 1994 auf der Bremer Politikbühne auch der Showdown des Öffentlichen Personennahverkehrs aufgeführt. Der Streit um die Verkürzung der Taktzeiten einiger BSAG-Linien im Dezember war dazu nur der Auftakt. Denn sowohl die ehrgeizige Aus- und Neubauplanung der Straßenbahnlinien 4 und 6 als auch das längst überfällige Erneuerungsprogramm für Waggons und Schienen sind bisher nicht recht finanziert.
Innensenator van Nispen schließlich hat sich für 1994 die Schließung der Drogenberatungsstelle in der Bauernstraße vorgenommen – und die Besserung der Kriminalitätsstatistik. Dort macht ihm die zunehmende Zahl von Warentermin-Betrügern Sorgen: „Da kommen schnell ein paar tausend Betrogene zusammen und drücken auf die Statistik.“ mad / Ase
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