■ Stadtmitte
: Rückblick auf das Jahr 1994

Nichts hatte zunächst darauf hingedeutet, daß am Ende des „Superwahljahres“ 1994 der so apostrophierte „überflüssigste Urnengang des Jahrzehnts“ stehen könnte. Innerhalb nur eines Monats wurden die Berliner Verhältnisse sprichwörtlich. Erinnern wir uns: Eigentlich sollte republikweit beinahe alles und überall gewählt werden, nur nicht das Parlament dieser Stadt. Wie hatte man noch über die StudentInnen gelächelt, die sich für das Neuwahlen-Volksbegehren kalte Füße holten. Doch dann ging es Schlag auf Schlag.

Der Sieg von Johannes Rau im Mai über Roman Herzog bei der Bundespräsidenten-Wahl eröffnete den Machtwechsel, der mit dem Einbruch der Union bei den Bundestagswahlen seinen krönenden Abschluß fand. Rot- Grün in Bonn ließ selbst die SPD im Berliner Senat selbstbewußter werden. Deutlichstes Zeichen hierfür war der Rücktritt von Senator Roloff-Momin nach dem Doppelschlag der gleichzeitigen Schließung von Maxim Gorki Theater und Komischer Oper. Unvergessen seine trotzigen Abschiedsworte: „Ich habe deutlich erklärt, daß ich die Rolle des Schurken in dem Stück ,Schiller und die Bühnenkiller‘ nicht ein zweites Mal spielen werde.“

Der Riß in der Koalition wurde unübersehbar, als Teile der SPD laut über personelle Konsequenzen für Diepgen nachdachten. Schlagartig waren dessen dubiose Aktivitäten als einer der drei von der Autobahnraststätte neben Krause und Gibtner wieder Tagesgespräch. Wurde nun doch bestätigt, was bisher stets vermutet wurde, daß mit Diepgens Wissen bei dieser Affäre sehr wohl Schmiergeld geflossen war.

Als schließlich der neu gewählte Bundestag in einer seiner ersten Abstimmungen beschloß, wegen fehlender Finanzen den Hauptstadtumzug auf das Jahr 2020 zu verschieben, und etliche Investoren ihre bereits begonnenen Baumaßnahmen einstellten, zerbrach die Koalition in wechselseitigen Schuldzuschreibungen. Das böse Wort aus Bayern vom Regierenden Ruinen-Bürgermeister ging um, der sich doch für Olympia 3000 bewerben solle.

Die Neuwahlen brachten nun alles andere als den erhofften Befreiungsschlag, sondern das bekannte Ergebnis: gut die Hälfte NichtwählerInnen, keine Partei über 30 Prozent, PDS und Bündnis/Grüne beide knapp 20 Prozent, daneben aus dem Stand eine zehnprozentige Statt Partei. Nur mit Mühen bekommt eine – nur aus Traditionsgründen so zu nennende – Große Koalition aus CDU und SPD noch eine knappe Mehrheit. Ganz abgesehen davon, daß sich die Personen, die nunmehr in die Koalitionsverhandlungen eintreten werden, noch im Wahlkampf gegenseitig totales Versagen angesichts der Probleme der Stadt vorwarfen, eine Sichtweise, die offenbar auch die WählerIn teilt. Wolfgang Wieland

Der Autor ist Fraktionsvorsitzender des Bündnis 90/Grüne.