Eroberung der letzten Männerdomäne

■ Personalmangel im einfachen Volzugsdienst führte zur Einstellung von Frauen / Die "Mädchen in Uniform" sind beliebter als ihre männlichen Kollegen, die mit Ablehnung und Bevormundung reagieren

Anfang 1989 war in Berliner Tageszeitungen ein Aufruf der Justizverwaltung zu lesen, der inhaltlich eng an die Bergpredigt angelehnt war. Statt „Kommt alle her, die Ihr mühselig und beladen seid“ hieß es ganz und gar weltlich: „Wer erst 20 Jahre alt oder übergewichtig ist oder wer erhebliche Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Rechtschreibung hat, der kann zwar nicht für die Ausbildung an der Vollzugsschule zugelassen werden, er kann aber nach kurzer, intensiver Ausbildung sehr wohl bestimmte Aufgaben in der Anstalt übernehmen und daneben die Zeit nutzen, gegebenenfalls seine Mängel zu beheben.“ Aber der Hilferuf erreichte die richtige Zielgruppe. Die orginelle Idee der Justiz, den chronischen Personalmangel auf der Ebene des einfachen Vollzugsdienstes mit Gehandikapten aufzubessern, war ein durchschlagender Erfolg. Horden von Minderbegabten traten an, um ihr Hilfsarbeiterdasein gegen einen bescheidenen paramilitärischen Rang und eine mausgraue Uniform einzutauschen. Bereit, sich zukünftig einer hierarchischen Hackordnung zu unterwerfen, die es dem Hirn erlaubt, träge in seiner zerebralen Hängematte rumzulümmeln und abzuwarten, bis der Vollzugsdienstleiter knurrt.

Den meisten Betroffenen dämmerte erst nach der Ausbildung, daß sie sich gerade selbst für dreißig Jahre eingebuchtet und einer tagtäglichen Gängelung durch Dienstanweisungen und Vorschriften ausgesetzt hatten, die jeden Salatkopf, den man darin einwickeln würde, zum Verwelken brächte. Die Folge: Die mühselig Angeheuerten machten krank, und die Justizverwaltung mußte erneut Personal rekrutieren.

So war es dann auch weniger eine Folge der in anderen gesellschaftlichen Bereichen allmählich Platz greifenden Gleichberechtigung, daß man alsbald auf Frauen zurückgriff, um Personalengpässe zu beheben. „Mädchen in Uniform“ hieß dann auch der Reißer aus dem Bundesjustizministerium, mit dem das ansonsten von Eintönigkeit getrübte Häftlingsauge seit Mitte 1990 konfrontiert wird.

Genau wie ihre männlichen Kollegen werden die Frauen zunächst für ein dreimonatiges A- Praktikum auf die Stationen in den verschiedenen Anstaltsbereichen verteilt. Danach gehen sie für sechs Monate auf die Vollzugsschule, wo man ihnen neben den Grundlagen „praktischen Verwaltungshandelns“, was ein Widerspruch in sich ist, auch einschlägige Rechtsvorschriften vermittelt. Anschließend werden die Frauen als sogenannte B-Praktikantinnen in den Verwahrhäusern beschäftigt. Bei den Gefangenen sind sie beliebter als ihre männlichen Kollegen und werden weniger angefeindet. Anders als die männlichen Schließer, die häufig in ihrer Person das ganze Strafvollzugssystem repräsentieren und geehrt wissen wollen, wirken die Frauen eher schlichtend.

Das wiederum verändert auch das Verhalten der Insassen. Manch postkulinarisches Bäuerchen, dem früher üblicherweise lautstark freier Abzug gewährt worden wäre, bleibt dem Knacki unausgerülpst im Halse stecken, und auch manch andere Flegelei unterbleibt, angesichts einer friedlich vor sich hinstrickenden Stationsmutter im Beamtenraum. Gerüchten zufolge trägt der eine oder andere Insasse der Präsenz weiblicher Bediensteter mit einem übersteigerten Hygienefimmel Rechnung und wäscht sich sogar zweimal im Jahr die Füße.

Die Erstürmung der letzten männlichen Bastion durch die Frauen stößt indes nicht nur auf ungeteilte Begeisterung. Gerade bei den männlichen Beamten ist die Ablehnung weiblichen Personals sehr verbreitet und auf ein in diesen Kreisen noch weit verbreitetes Männerdogma zurückzuführen, nachdem eine Frau an den Kochtopf und der wiederum ins Schlafzimmer gehört.

Das hält die betreffenden Beamten jedoch nicht davon ab, die jeweilige Zentrale genau dann zu belagern, wenn eine der Traditionsbrecherinnen sich dort aufhält. Und mancher Knacki, der die beiläufige Hormonmanipulation der Beamtenschar mit einer gewissen Häme registriert und ihnen „cupido senilis“ unterstellt, läßt sich gleichfalls nicht davon abhalten, im Kreise der Mitgefangenen drüber zu spekulieren, ob sich mit dieser oder jener wohl flirten ließe.

Doch gemessen an der Tatsache, daß die Weiblichkeit für viele Gefangene lange Jahre nur auf bunten Bildchen an den Zellenwänden existierte, kommen die Frauen mit den eingesperrten Männern gut zurecht. Auch was die Anbaggerei anbelangt. „Ist doch draußen viel schlimmer als hier drinnen“, sagt Martina. „Viel unangenehmer finde ich die dauernde Bevormundung durch männliche Kollegen, die versuchen, einem Anweisungen zu geben, und einem sagen wollen, was man zu tun und zu lassen hat, selbst wenn sie nicht mal einen höheren Dienstgrad haben.“ Die 28jährige arbeitet seit über einem Jahr in der Vollzugsanstalt für Männer und findet es gut, daß Frauen nach vielen anderen Bereichen mit dem Knast das geschlossenste aller gespenstischen Männerparadiese erobert haben.

Dennoch, analog zur üblicherweise praktizierten Gleichberechtigung in anderen Berufssparten, findet sich Frau auch hier am häufigsten im Bereich des allgemeinen Vollzugsdienstes vertreten. Peter Lerch