Action statt Theorie

■ 1.000 Nachwuchsumweltschützer tauschten sich in Göttingen aus

Göttingen (taz) – Von der theoretischen Einführung in die „ökologisch-solidarische Weltwirtschaft“ bis zum Planspiel zur „Benzinpreiserhöhung auf acht Mark“ reicht die Themenpalette auf dem Jugendumweltkongreß in Göttingen. Etwa 1.000 Jugendliche aus ganz Deutschland reisten zu der einwöchigen Großveranstaltung, die ehrenamtliche MitarbeiterInnen von BUNDjugend, Naturschutzjugend und freien Jugendumweltbüros organisierten. Jeder Initiative in Sachen Umwelt oder gesellschaftlicher Veränderung wird auf dem Kongreß Raum und Zeit zur Verfügung gestellt.

Iris aus Lüneburg ist zum Beispiel gekommen, um ihr Fahrradrikscha-Unternehmen vorzustellen, und hofft diese Idee so weiterzuverbreiten. Zu radikal finden dagegen etwa Robertus von der Naturschutzjugend Dresden und einige seiner insgesamt achtzig ostdeutschen Mitstreiter auf dem Kongreß die westdeutschen Umweltschützer. „Die wollen alle die Gesellschaft verändern. Dabei sollten wir lieber mehr für den Landschaftsschutz tun.“

In zahlreichen Foren diskutieren Umweltbewegte Projekte zu Energie, Abfall oder Dritter Welt. Es geht dabei nicht nur um die Sache, sondern um die Aktion. „Gruppendynamische Prozesse zählen hier genausoviel wie Inhalte“, meint Jens vom Netzwerk Anders Leben. Er ist mit einem Büchertisch gekommen und will eigentlich Inhalte verkaufen. Doch die breite Auswahl an anarchistischer Theorie findet wenig Anklang, am besten verkaufen sich T-Shirts und Buttons mit Anarcho- Zeichen. „Trockene Theorie geht nicht mehr. Das Interesse an der Politik ist eher plakativ.“ Ein Referent in einem der gut 200 Arbeitskreise hat die gleichen Erfahrungen gemacht. Wenn er keine praktischen Alternativen anbieten könne, seien die ArbeitskreisteilnehmerInnen frustriert. „Action ist in, keine Theorie.“ Aber die meisten TeilnehmerInnen scheinen doch gut informiert und interessiert zu sein, in allen Ecken und Gängen wird diskutiert, man tauscht Adressen und Tips.

Gut die Hälfte der Teilnehmer ist nicht in einem der Verbände organisiert, von deren verkrusteten Strukturen sie sich ausgebremst fühlen. Statt dessen haben sie rund 50 unabhängige Umweltprojektwerkstätten in Deutschland aufgebaut. In Räumen, die auch mal Omas Gartenlaube oder ein alter Bauwagen sein können, tragen alle Jugendumweltinitiativen der Gegend – die biodynamische Food- Coop, die Anti-Autobahn-Gruppe und die Eine-Welt-AktivistInnen – Infos, Bücher, Computer und Werkzeuge zusammen und helfen sich gegenseitig. Kreativität ersetzt das dicke Portemonnaie. Viele sehen in den Projektwerkstätten die einzige Möglichkeit für sich, politisch zu arbeiten. Selbst Mitglieder der großen Jugendumweltverbände finden sich oft nicht mehr genügend in den Verbänden repräsentiert. Sie wollen die Gesellschaft ökologisch reformieren. In den Verbänden seien jedoch keine längerfristigen Ziele vorhanden, die Bewegung verheddere sich im Detail. Ulrike Fokken