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Im Vorfeld der für heute geplanten Wiederaufnahme der Autonomieverhandlungen ließ die israelische Regierung die PLO-Führung schmoren. Beide Seiten werfen einander vor, das Gaza-Jericho-Abkommen eigenwillig zu interpretieren.

In Jerusalem sollen die Verhandlungen mit der PLO nun einer gründlichen Revision unterzogen werden – heißt es in einer gestern in der israelischen Hauptstadt veröffentlichten halbamtlichen Erklärung. Bei der sonntäglichen Regierungssitzung kritisierte Ministerpräsident Jitzhak Rabin die PLO- Führung und insbesondere Jassir Arafat. Denn dieser hatte sich in einer Botschaft an die israelische Regierung von den in der Vorwoche in Kairo getroffenen Vereinbarungen des gemeinsamen obersten Koordinationsrats zu einer Lösung der Differenzen über das Gaza-Jericho Selbstverwaltungsprojekt eindeutig distanziert.

Rabin zeigte sich am Samstag im israelischen Rundfunk irritiert über die jüngsten Ereignisse. Er berichtete, Außenminister Peres habe sich in Kairo mit der PLO auf ein Positionspapier geeinigt, das drei wichtige Punkte erfaßt habe: die Kontrolle der Grenzen der palästinensischen Autonomiegebiete Gaza-Streifen und Jericho zu Ägypten und Jordanien, den Umfang des Bezirks Jericho und das Recht des israelischen Militärs, palästinensische Angreifer zu verfolgen. Am Freitag abend sei ihm von palästinensischer Seite eine revidierte Fassung mit weitgehend neuen Forderungen Arafats gefaxt worden, der damit die ganze Vereinbarung in Frage stelle.

Rabin nannte keine Einzelheiten, doch in Regierungskreisen in Jerusalem hieß es, Arafat fordere vor allem, israelische Grenzkontrolleure dürften für Palästinenser, die nach Gaza oder Jericho reisten, gar nicht sichtbar sein. Er wolle, daß Israel die Grenzen aus größerer Entfernung elektronisch überwache. Dies sei aber für die Regierung Rabin nicht annehmbar.

110 Tage nach dem festlichen Akt auf dem Rasen des Weißen Hauses, bei dem das Osloer Abkommen unterzeichnet wurde und Rabin die Hand Arafats schüttelte, sind sich die beiden Führer somit erneut in die Haare geraten. Rabin ist jedoch der Ansicht, daß es sich bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung einstweilen um keinen Bruch handelt, sondern nur um eine Szene „aus dem Nahost-Bazar“. „Bevor wir die Verhandlungen fortsetzen, müssen einige Punkte geklärt werden. Wenn die PLO bestehende Abkommen ändern will, werden auch wir Änderungen fordern. Was uns betrifft: wir haben keine Eile. Mögen die Leute der PLO in Tunis einstweilen schwitzen.“

Die Wiederaufnahme des Taba- Verhandungsprozesses, welcher auf Vorschlag der PLO für heute geplant war und der zu einer Regelung der zukünftigen israelisch-palästinensischen Verhältnisse in Gaza und Jericho führen soll, hängt laut Rabin nun davon ab, ob die PLO weiterhin zu den in der Vorwoche getroffenen Kairoer Abmachungen steht. Außenminister Peres vertritt dagegen die Ansicht, die sich hinziehenden Taba- Verhandlungen jetzt nicht schon wieder zu verschieben, sondern auf alle Fälle erneut zusammenzukommen.

Auch nach Darstellung des palästinensischen Delegationsleiters Nabil Shaath hat es in der letzten Woche in Kairo überhaupt keine Einigung gegeben. In dem angeblichen Kompromißpapier fänden sich lediglich israelische Positionen. Weiterhin bestehende Differenzen sollten erst jetzt in Taba zur Aussprache kommen, wo eine Regelung der noch offenstehenden Fragen in 2 bis 3 Wochen möglich sein sollte. Warum die israelische Regierung diesen Ablauf der Verhandlungen jetzt als Gefährdung der Verhandlungen überhaupt darstellt, kann Nabil Shaath „nicht verstehen“.

In Israel wird Arafat des Versuchs beschuldigt, durch lautstarkes öffentliches Feilschen „phantastische“ Forderungen durchzusetzen. Diese hätte Israel in den bisherigen Geheimverhandlungen stets entschieden abgelehnt, da in Fragen der israelischen Sicherheit und Souveränität keinerlei Konzessionen möglich sind, und Israel den Palästinensern keine Symbole einer zukünftigen Selbstbestimmung bewilligen wird.

Arafats Absicht sei es außerdem, durch großsprecherische Auftritte seine erneut gefährdete Lage in der PLO-Führung in Tunis und bei der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu retten.

Zugleich will die israelische Regierung deutlich machen, daß eine Ablehnung ihrer Bedingungen für das Gaza-Jericho-Projekt zur Folge hat, daß sich Israel in den Autonomie-Verhandlungen von nun ab Zeit lassen will. Statt dessen wolle man sich vorrangig den Vorbereitungen der offiziellen israelisch-syrischen Gespräche widmen, die gleich nach dem bevorstehenden Gipfeltreffen zwischen den Präsidenten Clinton und Assad in Genf beginnen sollen. In den letzten Tagen haben israelische Vertreter Presseveröffentlichungen bestätigt, nach denen im vergangenen Jahr bereits eine Serie inoffizieller Gespräche mit syrischen Delegationen in Oslo stattgefunden haben.

Die Krise mit der PLO gibt Rabin die Möglichkeit, durch Entschlossenheit und Härte bei einer immer kritischer werdenden israelischen Öffentlichkeit Punkte zu gewinnen. Andererseits besteht die Gefahr, daß ein weiterer Aufschub der Verwirklichung des Gaza-Jericho-Projekts zur weiteren Desillusionierung der palästinenschen Bevölkerung in den besetzten Gebieten und zu einer Intensivierung von gewaltsamen Widerstandsaktionen führen wird. Amos Wollin, Tel Aviv