Tauziehen um jeden Quadratkilometer Autonomie

■ In der Frage der Kontrolle über die Grenzübergänge zu den Nachbarstaaten und des israelischen Truppenabzugs zeigen sich beide Seiten bislang unnachgiebig

Der Nervenkrieg zwischen der israelischen Regierung und der PLO ist in vollem Gange, der Verhandlungsmarathon der letzten Wochen in Oslo, Paris und Kairo hat die Differenzen zwischen den Delegationen nicht ausräumen können. Im Gegenteil, beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, den Inhalt des am 13. September in Washington unterzeichneten Abkommens ständig zu eigenen Gunsten zu verdrehen.

Kernpunkt der Differenzen ist die Interpretation des Grundlagenvertrags von Oslo. Die PLO fordert die palästinensische Kontrolle der Grenzübergangsstellen von den künftig autonomen Gebieten in die Nachbarländer Ägypten und Jordanien. Die Israelis lehnen dies strikt ab, sie argumentieren, eine solche Regelung würde die Sicherheit Israels gefährden. „Die Palästinenser können so unbemerkt schwere Waffen über die Grenze bringen. Und auch die radikalen Palästinenser, die jetzt den Friedensprozeß boykottieren, werden eine solche Gelegenheit nutzen, um Waffen zu schmuggeln und ihre Aktivitäten gegen Israel zu verstärken“, begründet die israelische Seite ihren derzeitigen Standpunkt. Ihrer Meinung nach soll Israel während der fünfjährigen Übergangsperiode bis zur Autonomie die Kontrolle über die Sicherheit an den Grenzen zu den „Autonomen Gebieten“ behalten.

Die PLO weist diese Argumentation entschieden zurück. PLO- Chef Jassir Arafat hat am Freitag dem israelischen Ministerpräsidenten Rabin vorgeworfen, er wolle durch seine unnachgiebige Haltung in dieser Frage „palästinensische Homelands“ unter israelischer Kontrolle schaffen, aus dem Gaza-Streifen ein „Indianerreservat“, aus Jericho ein „Ghetto“ machen. „Das werden wir auf keinen Fall hinnehmen, hier geht es um unsere Würde und unsere Souveränität“, erklärte am Wochenende ein PLO-Offizieller, der nicht genannt werden wollte.

Nach israelischer Darstellung hatten in der vergangenen Woche Unterhändler beider Seiten in Kairo Übereinkunft über die gemeinsame Kontrolle der Grenzübergänge und die Ausdehnung des Autonomiegebiets um Jericho auf 55 Quadratkilometer erreicht. Arafat wies die Berichte über eine solche Einigung jedoch zurück. Nach PLO-Angaben hat sich die Position Israels bei den Verhandlungen in Kairo verhärtet. „Bei den Gesprächen in Oslo und Paris haben sich die Israelis noch flexibel gezeigt“, so der PLO-Mann, „in Kairo jedoch kamen sie mit Vorschlägen, die für uns schlicht unakzeptabel sind. Die israelische Delegation bot uns im Grenzbahnhof am Jordan-Fluß nur ein „Fenster“ an. Und dem palästinensischen Grenzposten dort soll sogar ein israelischer Soldat an die Seite gestellt werden. Was die drei anderen Übergangsstellen betrifft, darunter eine, die den Gaza-Streifen mit Ägypten verbindet, sollten wir uns überhaupt keine Illusionen machen, sagten sie uns. Dort sollen wir gar keine Rolle spielen.“ Für die PLO ist die Kontrolle über die Grenzübergänge in die Nachbarstaaten von großer Bedeutung. Schließlich können sie dadurch Fakten schaffen – die Kontrolle über die Grenzen wäre ein Anfang der „Souveränität“, eine Anerkennung dessen, daß die palästinensischen Gebiete „offizielle Grenzen“ haben – die Vorstufe zu einem unabhängigen Staat, was Israel derzeit zu verhindern sucht.

Die zweite strittige Frage betrifft die Fläche des Gebiets von Jericho. Während die PLO einen Rückzug der israelischen Truppen aus der gesamten Region Jericho verlangt, einer Fläche von 280 Quadratkilometern, sind die Israelis der Auffassung, das Abkommen verpflichte zu einem Rückzug nur aus der Stadt Jericho, einer Fläche von rund 27 km2. Während der Verhandlungen in Kairo zeigten sich die Israelis bereit, die Fläche um cirka 70 km2 zu erweitern. Doch die PLO lehnte ab. „Sie wollen Jericho in ein großes Flüchtlingslager verwandeln. Ihre Strategie ist es, so viel Palästinenser wie irgend möglich loszuwerden und soviel Land wie nur möglich zu behalten“, so der Vertreter der PLO.

Lediglich beim dritten Punkt, dem Sicherheitsgürtel um die israelischen Siedlungen im Gaza- Streifen, konnte eine Annäherung erzielt werden. Die israelische Delegation hat inzwischen auf ihre ursprüngliche Forderung nach einer Sicherheitszone von 35 km2 um die Siedlungen verzichtet. Statt dessen verlangt Israel jetzt eine Fläche von 10 km2.

Bislang zeigen beide Seiten nur geringe Bereitschaft, ihre unnachgiebige Haltung aufzugeben. Doch auch innerhalb der PLO-Führung gibt es Meinungsverschiedenheiten. Jassir Arafat und Jassir Abed Rabbo, der Chef der PLO-Informationsabteilung, haben das „Einvernehmen“, das der Delegationsleiter in Kairo, Mahmud Abbas, erreichte, abgelehnt. Beide werfen Abbas öffentlich vor, zu viele Konzessionen zu machen. Abbas, der als Architekt des Oslo-Abkommens gilt und den Vertrag mit Israels Außenminister Peres unterschrieb, ist mit Arafats Verhandlungsstrategie offenkundig nicht einverstanden. Seiner Meinung nach sollte die PLO die Realisierung des Abkommens nicht an der Frage der Grenzübergänge scheitern lassen, sondern sich auf andere Punkte konzentrieren – so auf die Fläche von Jericho und den Truppenabzug. Verhandlungen über die Grenzübergänge könne man auch nach dem Ende der Übergangszeit noch aufnehmen.

Für Jassir Arafat ist es nicht ganz leicht, noch weitere Konzessionen zu machen. Die Opposition der Palästinenser gegen den Vertrag mit Israel wächst. Nach über drei Monaten seit der Unterzeichnung spüren viele in den besetzten Gebieten keine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Auch ist die große Mehrheit der politischen Gefangenen noch nicht freigelassen worden. Die Auseinandersetzungen mit den israelischen Soldaten und den Siedlern gehen weiter. Und radikale Organisationen wie die Hamas-Bewegung gewinnen immer mehr an Boden.

Wenn die Delegationen sich Anfang der Woche erneut in Kairo zusammensetzen, wissen beide Seiten, daß es kein Zurück gibt. Nach Meinung arabischer Diplomaten warten beide Seiten auf den Vermittler USA. Washington soll neue Vorschläge einbringen, die beide Seiten ihr Gesicht wahren läßt. Die USA haben nicht das geringste Interesse an einer Stagnation der palästinensisch-israelischen Verhandlungen, besonders in Hinblick auf das geplante Gespräch zwischen Bill Clinton und dem syrischen Präsidenten Assad, Mitte diesen Monats in Genf. Khalil Abied, Amman