Namentlich bekannte Kräfte

■ Ein Gespräch mit Peter Grisebach, demnächst Intendant in Bremerhaven, über alles Neue

Mit 22 Jahren stellte er seinen ersten Rekord auf: Da debütierte Peter Grisebach, es war 1975, als Deutschlands jüngster Opernregisseur. Drei Jahre später machte ihn das Bremerhavener Stadttheater zum bis dahin jüngsten Oberspielleiter der Sparte Oper. Nach drei Jahren verließ er das Haus und kam 1985 für zwei Jahre zurück. Und wenn Grisebach, welcher derzeit in Kiel die Oper leitet, im kommenden August Gerd Böttger auf dem Posten des Bremerhavener Intendanten ablöst, ist der 40-jährige einer der jüngsten Leiter eines Dreispartenbetriebs.

Es ist nicht die Stadt, die ihn zur Rückkehr reizt, sondern das Theater, dem er endlich seinen Stempel aufdrücken will. „Ich hatte nie den Eindruck gehabt, daß das Stadttheater geleistet hat, was es leisten könnte und müßte.“ Grisebach wünscht sich ein Theater, „das auch weh tun und schockieren kann“, er wünscht sich aber auch eine Kunst, „die so ist, daß das Publikum nicht gleich wegrennt“.

Für Musicals aus der Fast-Food- Branche sind ihm die 18,7 Millionen Mark an städtischen Subventionen zu schade. Aber Musicals soll es schon auch weiterhin geben, sofern sie jedenfalls aktuell sind: zum Beispiel die „West Side Story“, das Bernstein-Musical, das Grisebach in Kiel schon einmal inszeniert hat. Er wird es auch in seiner ersten Bremerhavener Spielzeit zeigen.

Und die Operette? „Natürlich werde ich auch Operette spielen“. Aber er will Schluß machen mit der Bremerhavener Operetten-Tradition, wonach alle sieben oder acht Jahre die selben Titel auf dem Spielplan stehen. Stattdessen will er unbekannte Titel wagen, von Oscar Strauß etwa oder von Jaques Offenbach, lauter Neuentdeckungen für Bremerhaven.

Mehr Mut zum Risiko soll es künftig auch im Opernrepertoire geben. „Das permanente Sicherheitsdenken kotzt mich an.“ Zwar wird Grisebach zum Auftakt mit „Rigoletto“ einen Publikumsrenner inszenieren, aber die italienische Belcanto-Oper soll immerhin in der Originalsprache gesungen werden. Das hat es am Stadttheater seite den sechziger Jahren nicht mehr gegeben. Grisebachs handfestes Argument: Bremerhaven werde interessanter für internationale Sänger. Sie könnten große Partien an einer kleineren Bühne ausprobieren, ehe sie den Sprung in die Metropolen wagen.

In allen Sparten setzt Grisebach verstärkt auf lokale Erstaufführungen; und es sollen auch durchaus Uraufführungen darunter sein. Junge Autoren, Schauspieler und Regisseure würden allmählich merken, daß am Theater Aufbruchstimmung herrsche.

Geburtshelfer der neuen Ära soll im Schauspiel ein Oberspielleiter werden, den Grisebach aus dreißig Bewerbungen herausgefischt hat: Holger Schultze (33), zur Zeit in Potsdam, vorher bei Jürgen Busse in Stuttgart, sei „so ein richtiger Sympathieträger, keiner dieser Schaumschläger, die zwanzig nackte Menschen über die Bühne jagen und meinen, jetzt hätten sie provokatives Theater gemacht.“

Wie aber will Grisebach auf die drohenden Sparmaßnahmen und die angekündigte Streichung von sechzehn Stellen reagieren? Wird er zulassen, daß die gerade engagierte Ballett-Truppe wieder verabschiedet wird? Er wird nicht, sagt er. Er will vielmehr deren Gewicht mit eigenen Tanztheater-Abenden im Großen Haus erhöhen.

Aber muß vielleicht nicht gar das Schauspiel dichtmachen, wie hinter den Kulissen gemunkelt wird? „Ohne Schauspiel gibt es das Theater nicht mehr. Das Haus kann nicht allein mit dem Musiktheaterensemble bespielt werden.“ Auch Gastspiele kämen als Ersatz nicht in Betracht, da das Gebäude für den Gastspielbetrieb ganz ungeeignet sei. „Es kann leichter passieren, daß es in Bremerhaven überhaupt kein Theater mehr gibt.“

Aber Grisebach denkt, daß sich die Spardiskussion vom Theater wegverlagern werde. Als er sich für diese Stadt entschieden habe, sei er zwar angeguckt worden „wie ein Verrückter“, er habe sich aber für die Offensive entschieden. „Dieses Theater war so lange in der Defensive, und das ist ihm nicht gut bekommen.“

Und wie offensiv war er bei seinen Gehaltforderungen? „Ich verdiene weniger, als ich gefordert habe“. Und weil er selber Regie führt und die Stelle des Oberspielleiters in der Oper nicht eigens besetzt, kann er, wie er sagt, mit dem eingesparten Geld „namentlich bekannte Kräfte“ nach Bremerhaven holen. „Die Zeiten, wo man auf das Stadttheater heruntergeguckt hat, sind vorbei.“ Hans Happel