■ Was spürbar zusammenwächst
: Oder spüren Sie was?

Zwei Drittel der Berliner sehen nach der jüngsten Forsa-Umfrage die beiden Hälften der Stadt im neuen Jahr spürbar zusammenwachsen. Wie, bitte schön, sieht man spürbar eine Stadt zusammenwachsen? Geht das so wie Gras wachsen oder Nachtigallen trapsen hören? Diese unter den Hauptstadtnägeln brennenden Fragen scheinen auch die PDS-Abgeordnete Eva Müller zu bewegen. In einer kleinen Anfrage an den Senat will sie wissen, wie weit das Zusammenwachsen Ost und West auf dem Gebiet der AVÜKs fortgeschritten ist. Hinter diesen vier Buchstaben verbergen sich nicht etwa Antisozialistische Vereinigungs-Übergangs-Komitees, sondern schlicht und ergreifend „Automatische Verkehrsüberwachungs-Kameras“.

Innensenator Heckelmann gibt in seiner Antwort ohne Scham und mit gewohntem westlichem Egoismus zu, daß an 14 Westberliner LZAs (gemeint ist nicht die Langsame Zentral-Anpassung, sondern Lichtzeichenanlagen), AVÜKs das Rotlicht überwachen. Im Osten dagegen ist im Jahre 4 der deutschen Einheit noch keine einzige AVÜK installiert. Typisch! Grünes Licht im Osten, rotes (hä?) Licht im Westen. Aber die Ungerechtigkeit geht weiter. Von den 14 AVÜKs im Westen sind zwei mit einer Frontfotoanlage gekoppelt. Das zwingt die Ostler, die schon immer ein Foto am Steuer des neuen Westautos haben wollten, eine Westkreuzung anzusteuern. Und das bei den explodierenden Benzinpreisen. Wie soll so eine Stadt zusammenwachsen? Oder spüren Sie was?

Wenn nicht, sollten Sie in den nächsten Wochen die Kreuzung am Molkenmarkt im Herzen von Ostberlin ansteuern. Dort, so Heckelmann, soll in Kürze die erste der insgesamt zwei für 1994 in Ostberlin geplanten AVÜKs in Betrieb genommen werden. Ob das erste Exemplar mit einer Frontfotoanlage ausgestattet sein wird, verrät er nicht.

Die PDS-Fragestellerin, die sicher mit einer Antwort dieses Ausmaßes an Ungerechtigkeit gerechnet hatte, weiß, was die Basis denkt. Der Forsa-Umfrage nach dem Gespür der Hauptstädter für das Zusammenwachsen ihrer Stadt zufolge erwarten nämlich nur 36 Prozent der PDS-Sympathisanten ein baldiges Zusammenwachsen. Hat die PDS wirklich so selten recht? Barbara Bollwahn