Der Reis reicht für zwei Wochen

Toyota und Pepsi statt Freiheit von Angst: Mit begrenzter wirtschaftlicher Öffnung sucht Birmas Militär seine Macht zu erhalten, doch die Mehrheit der Bevölkerung wird ärmer und zorniger  ■ Aus Rangun Jutta Lietsch

Kommen Sie, lassen Sie uns in den Schatten gehen, wir wollen ein wenig über den Buddhismus sprechen“, sagt der alte Herr und lenkt unsere Schritte in den Tempel. „Sie sind erst seit kurzer Zeit in Birma? Ich möchte ihnen etwas Wichtiges aus den heiligen Schriften vortragen.“ Er schiebt die dicke Brille zurecht, blättert in seinem Notizheft und liest vor: „Traue nicht dem, was du siehst. Mißtraue dem, was du hörst.“ Er blickt kurz auf und rezitiert weiter aus den klassischen Ermahnungen, niemandem – auch den Autoritäten, dem Meister und dem Lehrer nicht – unbesehen Glauben zu schenken. „Ich bin ein alter Mann“, fügt er unvermittelt hinzu, „ich kümmere mich nicht mehr um die Politik.“ Und er lächelt, als ich mich bedanke, und sagt so leise, daß der unauffällige junge Mann, der immer näher gerückt ist, die Ohren schon sehr spitzen muß: „Wissen Sie, ich liebe die Demokratie.“

Vielleicht war der junge Mann wirklich nur neugierig. Doch die Angst vor Spitzeln und Denunzianten ist allgegenwärtig, auf den Straßen und bei den Pagoden, in Birmas Hauptstadt Rangun ebenso wie im Rest des Landes. Für ein paar Kyat, das ist die Landeswährung, finden die Militärs immer Leute, die für sie aufpassen, denn die Armut ist groß. So ist da ständig der Blick über die Schulter, Gespräche beginnen unvermutet, verwandeln sich abrupt in Unterhaltungen über das Wetter und die Sehenswürdigkeiten oder brechen plötzlich ab.

Dabei macht Rangun heute, mehr als fünf Jahre nach der blutigen Niederschlagung der demokratischen Proteste durch die Armee, auf den ersten Blick keineswegs den Eindruck einer in Furcht erstarrten Stadt. Heute beherrschen die Soldaten nicht mehr das Straßenbild – sie warten hinter den Kasernenmauern. Große Reklametafeln werben für ausländische Zigarettenmarken, für Pepsi und Coca-Cola, Sony und Toshiba.

„Change money“, raunt es an den touristenträchtigen Punkten. Damit sind Dollars gemeint und nur ganz selten die in diesem Jahr eingeführten Foreign Exchange Certificates, eine nach chinesischem Vorbild geschaffene Kunstwährung, die Ausländer nach dem Zwangsumtausch von 200 US- Dollar in die Hand gedrückt bekommen. Nach offiziellem Kurs gibt es sechs Kyat für einen Dollar, auf dem Schwarzmarkt über 100.

In den Elektronikläden, die ihre Ware nun ganz legal aus Thailand, Japan und Singapur importieren dürfen, stapeln sich die Kartons mit japanischen Fernsehern, Hi-Fi- und Videoanlagen. Das Publikum drängt sich in den Geschäften der Gold- und Edelsteinhändler, vor denen kleine Männergruppen ein wachsames Auge auf die Umgebung halten.

Zwischen Motorrädern und den Trishaw genannten Fahrradrikschas, zwischen Bussen, die noch aus der britischen Kolonialzeit zu stammen scheinen, und Mazda- Taxis im Trabi-Format schlängeln sich im dichten innerstädtischen Verkehr die japanischen Mittel- und Oberklassewagen.

„Nein, ein japanischer Wagen ist nicht teuer“, meint ein etwa 30jähriger Privatunternehmer. Er habe seinen – gebraucht – für 2.800 Dollar gekauft, und dann noch mal 1.000 Dollar an den Zoll gezahlt. Birmesische Seeleute bringen die Autos ins Land und bessern so ihr mageres Einkommen auf.

Der junge Mann gehört zur schmalen Schicht der Gewinner der nach 1988 eingeleiteten begrenzten wirtschaftlichen Öffnung – wie beim großen Nachbarn China versucht auch die Führung in Birma, ihr Festklammern an der Macht durch größere Konsumangebote an die Bevölkerung zu erkaufen. „Wirtschaftlich geht es mir jetzt besser“, sagt er. „Früher war es noch nervenaufreibender, als alles verboten war.“

Früher, das war, als die Generäle, die seit dem Putsch von 1962 einen weltabgewandten „birmesischen Weg zum Sozialismus“ proklamierten, jegliche Privatgeschäfte zu unterbinden trachteten. Damals mußte der junge Unternehmer viel mehr Leute in Polizei, Militär und Verwaltung bestechen. Und er deutet auf die fünf oder sechs gerahmten, mit offizieller Unterschrift und Siegel versehenen Dokumente an der Wand: „Jetzt habe ich schon eine Reihe Lizenzen erworben“ – damit habe sich die Zahl jener, die von ihm Schmiergeld fordern können, verringert. Für gewisse Währungstransaktionen und den offiziell verbotenen Transfer von Devisen auf sein Konto in Singapur – das er eigentlich gar nicht führen darf – ist es aber weiterhin nötig, sich der Gewogenheit nützlicher Leute zu versichern.

Eine Plastiktüte voller Kyat- Scheine liegt auf seinem Schreibtisch, in handlichen Päckchen zusammengebunden: immer in Hunderter-Ensembles. Kyat-Noten gibt es in 1er, 5er, 10er, 15er, 45er, 90er und 200er Scheinen. Denn der greise General Ne Win, der bis 1988 an der Spitze der Regierung stand und seitdem die Fäden hinter den Kulissen zieht, hat es so beschlossen. Die Einflüsse der Sterne und Planeten, der Zahlenmystik und anderer eigenwilliger Kräfte auf die Entscheidungen Ne Wins und seiner Untergebenen haben sich hier niedergeschlagen. Das ist nicht nur komisch: Denn wenn es dem General einfällt, „unheilvolle Einflüsse“ in gewissen Zahlenkombinationen zu entdecken, dann befiehlt er, die entsprechenden Scheine für ungültig zu erklären. Das geschah zuletzt im September 1987. Damals sahen sich große Teile der Bevölkerung auf einen Schlag ihrer Ersparnisse beraubt – was stark dazu beitrug, daß sich ihre Erbitterung im Jahr darauf in den andauernden Demonstrationen und Protesten entlud.

Die sich „Staatsrat zur Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung“ (SLORC) nennende Junta hält die Wirtschaft Birmas heute – nach dreißig Jahren Militärdiktatur und einem noch länger andauernden Krieg gegen die aufständischen ethnischen Minderheiten – nur durch den Ausverkauf der natürlichen Reichtümer des Landes über Wasser. Trotz aller Embargoforderungen von Menschenrechtsorganisationen und einigen westlichen Regierungen wird das Tropenholz abgeschlagen und exportiert, als ob es kein Morgen gäbe, werden Rubine und andere Edelsteine außer Landes gebracht. Die Opiumproduktion, von den Generälen vorgeblich bekämpft, ist in den vergangenen fünf Jahren stark angestiegen. Eine Konzession für den Abbau von Erdgasvorkommen im Golf von Martaban hat die französische Firma TOTAL in der Tasche. Allein schon mit den Einkommen aus den Zahlungen von TOTAL, meint ein westlicher Diplomat, kann sich das Regime auch in den kommenden Jahren noch halten.

Und wenn das Geld nicht reicht, wird eben mehr gedruckt. Folge: Die Preise für Reis, Zucker und andere Grundnahrungsmittel sind im vergangenen Jahr um 50 Prozent gestiegen oder haben sich sogar verdoppelt. Im fruchtbaren Birma – das noch in den fünfziger Jahren zu den wohlhabendsten Ländern Asiens zählte und wo der Boden nicht knapp ist – wissen viele Leute nicht mehr, wie sie ihren Reis bezahlen sollen. „Wir nennen das den zweiten Aggressionskrieg“, sagt ein 25jähriger, als das Gespräch auf die Lebensmittelpreise kommt. „Der erste war 1988“, fügt er erklärend hinzu, „da haben sie uns mit Gewehren bekämpft. Und jetzt wenden sie eine andere Waffe an, den Hunger. So wollen sie den Widerstand schwächen.“

Nicht nur in der Stadt, auch auf dem Lande wächst der Zorn der Bevölkerung. Denn immer wieder würden Dörfer – auch in nicht umkämpften Gebieten – von Armeeeinheiten regelrecht überfallen, Ernten und Vorräte requiriert und Dorfbewohner zur Zwangsarbeit verschleppt, meist als Träger für die Truppen. „Wir können nichts tun, wir haben keine Waffen“, sagt eine 50jährige Händlerin, „unsere einzige Hoffnung ist, daß wir eines Tages genügend von unseren eigenen Leuten im Militär haben.“

Mehr als 2.000 Kyat (20 Dollar) verdient kaum ein Regierungsangestellter, Grundschullehrerinnen und -lehrer gar nur 1.200 im Monat. Der Reis, den sie damit für ihre Familie kaufen können, reicht für eine, vielleicht zwei Wochen; von Speiseöl, Gemüse und Fleisch ganz zu schweigen.

Unter diesen Umständen blüht die Korruption bis in die letzten Winkel des Alltages: Eltern bezahlen die LehrerInnen, damit diese ihre Kinder nicht „übersehen“; im Krankenhaus, auf dem Amt muß geschmiert werden, Polizisten sowieso. Und man sucht sich einen Zweitjob. Wer Zugang zu einem Dienstwagen hat, fährt damit nach Feierabend Privattaxi. Sprit finden die Fahrer an den „Mondscheintankstellen“, die nach Anbruch der Dunkelheit an den befahreneren Strecken auftauchen: Dann kommen jene, die ihre Zuteilung subventionierten Benzins anbieten, und warten am Straßenrand mit ihrem Kanister und einem Trichter auf jemand, der ihnen das Acht- bis Zehnfache dessen bezahlt, was sie aufbringen mußten. Und dann bleibt da noch die Hoffnung auf einen Job im Ausland, in Thailand oder Singapur.

Die Propagandatafeln mit ihren weiß auf rot prangenden Parolen warnen und drohen nun zumeist nur noch in birmesischer Sprache. Man ließ die in Englisch gehaltene Aufforderung, alle zerstörerischen Kräfte zu zermalmen, der Armee zu gehorchen oder die Einheit der Nation mit dem eigenen Blut zu verteidigen, fast überall übermalen. Manchmal schimmert der Text noch durch. „Die Regierung hat gemerkt, daß ihre Propaganda die Ausländer erst darauf aufmerksam gemacht hat, daß es Probleme gibt“, erklärt ein Händler die Tünchaktion.

„I need your love“, schallt es von der Bühne des „Power Restaurant“ am Südrand des Inya-Sees von Rangun. Flackernde Glühbirnen erhellen die Bretter, auf denen sehr junge und hübsche Frauen eine Talentshow bestücken, amerikanischen, chinesischen und birmesischen Pop schmettern oder schluchzen. Die Kundschaft ist zahlreich, begeisterungsfähig und offenkundig zahlungskräftig: vor dem Haus stehen der ein oder andere Mercedes und sein japanisches Gegenstück. Für ein Essen zu zweit geben die Gäste hier leicht das Monatsgehalt eines Lehrers aus.

Die abendliche Dunkelheit trägt die durch die Lautsprecher arg verzerrten Töne zu einer Villa auf der anderen Straßenseite. Bewacht von Soldaten in vier Schießständen, einem Wachposten an der Toreinfahrt und weiteren Soldaten hinter dem Holzzaun, lebt hier seit viereinhalb Jahren unter Hausarrest die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, die zum Symbol des Widerstands und der Hoffnung der Bevölkerung geworden ist. Eine Hoffnung, die um so schwerer wiegt, als das Militär es in den letzten Jahren geschafft zu haben scheint, die Reste der im Land verbliebenen Opposition zu zersplittern. „Sie werden Suu Kyi nicht freilassen“, erklärt eine junge Frau und fügt hinzu: „Nicht, solange General Ne Win lebt.“ Die Junta könne es sich gar nicht leisten, sie freizulassen, sagt ein anderer, denn dann würden sich zu viele Soldaten auf ihre Seite stellen: „Auch sie verehren Suu Kyi.“