■ Arafat-Kritiker überreichten in Tunis eine Petition
: Weg in den präsidialen Ruhestand

Über den gestrigen Besuch konnte sich Jassir Arafat nicht recht freuen. Der Inhalt der Petition, die ihm Palästinenser aus den besetzten Gebieten überreichten, war dem PLO-Chef längst bekannt, jedoch dürfte er bei der Lektüre der 118 Unterschriften den einen oder anderen Stich im Brustbereich verspürt haben. Zu den UnterzeichnerInnen gehören bisherige Vertraute und vor allem junge Anhänger von Arafats PLO-Fraktion Fatah. Seit Arafat das „Gaza-Jericho- Abkommen“ innerhalb der PLO durchgeboxt hat, ist sein Führungsstil wachsender Kritik ausgesetzt. In den letzten Wochen traten Dutzende Fatah-Aktivisten in den besetzten Gebieten von ihren Ämtern zurück. Sicherlich sind unter den Kritikern gekränkte Funktionäre, deren Hoffnungen auf einen lukrativen Posten in der palästinensischen Verwaltung abschlägig beschieden wurden. Aber Männern wie dem über achtzigjährigen Fatah-Mitbegründer Haidar Abdel Schafi, der Arafat gestern die Petition überreichte, kann Machtgier kaum unterstellt werden.

Alles deutet darauf hin, daß der PLO-Chef die künftig teilautonomen Gebiete ähnlich autoritär regieren will, wie er es bisher mit der PLO getan hat. In drei Jahrzehnten an der Spitze hat er vor allem eine Kunst entwickelt: an der Macht zu bleiben. Jedes Papier, jeder Scheck bedurfte seiner Unterschrift. Zahlreiche Sicherheitsexperten bespitzelten sich ebenso intensiv gegenseitig wie der israelische Mossad und versorgten den PLO-Chef mit dicken Dossiers. Sollte Arafat demnächst in Jericho residieren, wird dieser Hofstaat mit ihm ziehen.

Die PLO-Erneuerer stecken im Dilemma. Ein palästinensischer Ministaat in Jericho und im Gaza- Streifen ist ohne Arafat nicht vorstellbar. Mehr als jede Fahne oder schwarz-weiße Keffia ist der dickliche Mann mit der eisernen Faust, der mittlerweile der israelischen Regierung Briefe mit dem Kopf „Präsident des Staates Palästina“ schickt, Symbol für die palästinensische Sache. Auch den schärfsten Kritikern aus den eigenen Reihen ist klar, daß das „Gaza-Jericho-Abkommen“ ohne Arafat gestorben ist. Die israelische Regierung hat signalisiert, daß sie für diesen Fall ihre Ansprechpartner nicht unter den sich bekämpfenden PLO-Flügeln suchen wird, sondern unter den „Pragmatikern“ innerhalb der Islamistenorganisationen Hamas und Dschihaad Islami. Angesichts dieser Perspektiven ist das gestern überreichte Kommuniqué entsprechend moderat verfaßt. Nur ein Komitee soll eingerichtet werden, das die PLO-Führung ein wenig kontrolliert. Dem alternden Arafat soll so – so scheint es – der ehrenvolle Weg in den präsidialen Ruhestand in Jericho geebnet werden. Thomas Dreger