Kroatien: Wende im „Terroristenprozeß“?

■ Hoffnung für die „Dalmatinische Aktion“: Hardliner-Oberstaatsanwalt entlassen

Split (taz) – Zumindest bei den Mitgliedern der „Dalmatinischen Aktion“ (DA) hat der Sturz des kroatischen Oberstaatsanwaltes Stjepan Herceg Freude ausgelöst. Neun von ihnen sollen demnächst wegen „Terrorismus“ vor Gericht stehen. Der Vorwurf des alten Staatsanwaltes: Sie sollen die eigene Parteizentrale in die Luft gesprengt haben. „Diese Anschuldigungen sind völlig aus der Luft gegriffen“, erklärte gestern Mira Ljubić-Lorger, Vorsitzende und bislang einzige Abgeordnete der Regionalpartei im kroatischen Parlament, gegenüber der taz.

Die Umstände der Verhaftung lesen sich wie ein Krimi: Kurz nachdem am 28. September eine Bombe das Büro der DA zerstört hatte, wurde Jurica Gilić, der Sprecher der Partei, unter dem Vorwurf verhaftet, den Sprengsatz selbst gelegt zu haben. Am 5. Oktober wurden weitere sieben DA- Mitglieder, darunter ein Rechtsanwalt und drei Soldaten der kroatischen Armee, am 11. Oktober der Ehemann der Parlamentsabgeordneten, Srećko Lorger, unter dem gleichen Vorwurf in Untersuchungshaft genommen. Mindestens drei der Angeklagten, unter ihnen Gilić, wurden während der Verhöre brutal geschlagen.

Doch damit nicht genug: Mitte November drangen 16 schwerbewaffnete Männer in den schwarzen Uniformen der Spezialeinheiten der kroatischen Armee in die Wohnung von Frau Ljubić-Lorger ein und forderten sie ultimativ auf, zusammen mit ihren Kindern ihr Heim zu verlassen. Die Uniformierten scheuten sich auch nicht, dem 12jährigen Sohn der Abgeordneten buchstäblich die Pistole an den Kopf zu setzen. Unterlagen und Bücher wurden beschlagnahmt, Frau Ljubić-Lorger mußte zu Verwandten ziehen.

Seit dem 25. November nun warten die mittlerweile wieder auf freien Fuß gesetzten Angeklagten auf ihren Prozeß. Die Kehrseite der vorläufigen Freilassung ist, daß die „Nebenkosten“ des Verfahrens mittlerweile enorm in die Höhe geschnellt sind: Die Angeklagte und auch ihre Angehörigen wurden aus ihren Stellungen entlassen. Obwohl Oberstaatsanwalt Herceg sich auf diesen „Erfolg“ berufen konnte, ist er mit den Beweisen nicht sehr weit gekommen. Die Verhaftungen werden nämlich mit einem Geständnis begründet, das nach Ansicht des Rechtsanwalts der DA drei Tage nach der Verhaftungswelle vom 5. Oktober „erzwungen“ worden war.

Der nun gewählte neue Staatsanwalt, Krumislav Olujić, könnte für die gestellte Aufgabe besser geeignet sein. Bislang verfügt er über einen tadellosen Ruf. Oder wurde er gerade deshalb ernannt, weil er willens ist, die die Regierung kompromittierende Anklage fallenzulassen? Die Angeklagten zumindest fühlen sich bislang nicht aus dem Schneider. Ihre Partei und vor allem Frau Ljubić-Lorger scheinen für den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman persönlich ein rotes Tuch zu sein. „Wir sind eine Regionalpartei, die für die Demokratisierung, für die Pressefreiheit, gegen den Krieg in Bosnien und für ein Zusammengehen mit den bosnischen Muslimen eintritt“, erklärt die DA-Vorsitzende. Diese Inhalte widersprechen in der Tat diametral der Politik von Tudjmans Regierungspartei, der „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“ (HDZ).

„Sollen wir uns gerade in dieser Situation eine Bombe in unser eigenes Büro geworfen haben?“ fragt Frau Ljubić-Lorger. „In Split wurden in einem Jahr 30 Bombenanschläge gezählt, keiner dieser Anschläge wurde bisher aufgeklärt. Fachmännisch ist zum Beispiel ein Haus in dem Vorort Splits, Zrnovnica, in die Luft gesprengt worden, just zu dem Zeitpunkt, als hier eine neue Tageszeitung als Alternative zur marktbeherrschenden und seit April von der Regierungspartei gelenkten Slobodna Dalmacija gegründet werden sollte“, fügte ein Parteifreund hinzu. Der eigentliche Grund für die Verfolgung der DA liegt wohl in ihrem Erfolg. „Zu uns kommen immer mehr junge Männer, die teilweise als Soldaten auch in Bosnien eingesetzt wurden und erkannt haben, wie sehr Propaganda und Wirklichkeit auseinanderklaffen“, so Frau Ljubić-Lorger. „Gerade diese Jugend ist es, die sich für ein demokratisches Kroatien engagieren möchte und an die antifaschistische Tradition Dalmatiens anknüpft. Man will uns einschüchtern, weil die Kriegspropaganda nicht mehr alle Dalmatiner manipulieren kann. Deswegen hoffen wir auf materielle Unterstützung zur Finanzierung des Prozesses und unserer Arbeit von demokratischen Kräften des Auslands.“ Erich Rathfelder