: Erwin - Der Film
Gleich mit seinem ersten großen Kurzfilm ergriff er die Massen in den Kinosälen, teilte sie in drei Gruppen, und nach fünf Minuten sangen allesamt lauthals „Der Hahn ist tot“ und kreischten vor Lachen. Daß die Idee, einen Kanon zu singen, zu einer derart materiellen Gewalt wurde, lag vor allem daran, daß Zoltan Spindarello von der Leinwand herab sein Publikum ermunterte, zurechtwies und überhaupt herumkommandierte, als wär er leibhaftig dabei. So genau hatte er uns Leutchen vorauskalkuliert, ja vorweggenommen, daß es nur noch eine Wonne sein konnte zu unterliegen.
Spindarellis Kurzfilm „Der Hahn ist tot“ lief monatelang im Hamburger „Abaton“, dann ging er um die halbe Welt (hierzulande gerade noch im Cinema zu sehen). Unterwegs heimste er noch den Preis der deutschen Filmkritik ein, weil er gar so köstlich den schreienden, ja quiekenden Widerspruch zwischen Wesen und Wirkung des Kinobildes ausschlachtete. Spindarellis Anhängerschaft hingegen litt zusehends an der Frage, was denn danach noch kommen könnte. Jetzt aber hat der Hamburger Filmemacher kalten Bluts seinen nächsten Streich getan.
Der Film trägt den Titel „Wie Erwin Stuntz den Sexfilm drehte“ und ist tatsächlich die einzig denkbare Eskalation des damaligen Erfolgsstückchens: Nach dem Film, der die Menschen aufpeitschte, nun der Film, der überhaupt nicht zu sehen ist, der Film, zu dem es leider gar nicht kommt.
Obwohl der Erwin sich so bemühen täte, mit seiner Karin oder so per Selbstauslöser einen Feldundwiesenporno zu drehen. Wir sehen aber immer nur, wie er dann doch versehentlich im Bild herumsteht, wie er alles verhaspelt, so daß Katrin, die sich eben ausgezogen hätte, hinfällt und sowieso bald keine Lust mehr hat, wie er auf einmal das getarnte Selbstauslöserkabel nicht mehr findet, und immer wieder wird's schwarz im Kino, weil Erwin, mal versehentlich, mal grad extra die Kamera ausknipst, und nie kommt es zur Hauptsache und dann aber doch, bloß unverhofft ohne Bild, während der Live-Erzähler vor der Leinwand, in Bremen dargestellt von dem Schauspieler Rudolf Höhn, unentwegt weitererzählt von den unglaublichsten Handlungen; ja der ganze „Erwin“ ist ein einziges Unglück und sozusagen das endlich gefundene Gegenteils des Filmes als solchem.
Diesmal hat Spindarelli für sein Werk gar den Bundesfilmpreis gekriegt, namentlich das Filmband in Gold. In Hamburg war der „Erwin“ hundertmal zu sehen; jetzt setzt sich's in Bremen fort: allabendlich in der Schauburg vor „The Snappers“.
Manfred Dworschak
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