Freie Fahrt ins Asyl-Lager

■ Wenn zwei Angolanern das Reisegepäck geklaut wird, kann es passieren, daß sie im Aufnahmelager landen

Die beiden Männer treten ein. Hinter ihnen dreht ein Polizist den Schlüssel im Schloß. Sie sehen sich an. Und lächeln. Galgenhumor nennt man das wohl. Da stehen sie nun in einem Haus, das ihnen vorkommt wie eine Art von Gefängnis. Warum sie da stehen, begreifen sie allerdings nicht – schließlich wurden sie bestohlen und haben niemanden beklaut. Den Diebstahl ihres Reisegepäcks hatten der Angolaner Tito António und sein ugandischer Freund Yussif Cenionga bei der Polizei angezeigt. Doch statt ihrer Koffer erhielten sie eine Freifahrkarte ins Zentrale Aufnahmelager für Asylbewerber in Spandau.

António und Cenionga waren mit dem Zug von Kiew nach Berlin gereist. Der 29jährige Cenionga, der als Volkswirtschaftler in der Ukraine tätig ist, war auf dem Weg zu seiner Schwester nach England. António, 28, der in Kiew bereits ein tierärztliches Studium abgeschlossen hatte, wollte nach einem zweimonatigen Forschungsaufenthalt in Kiew nach Portugal zurückkehren, wo er Humanmedizin studiert.

In Berlin angekommen, wollten die beiden einen Scheck einlösen. Ein Mann bot ihnen an, ihr Gepäck in seiner Wohnung abzustellen, dann würde er ihnen helfen, eine Bank zu suchen. Sie nahmen erleichtert an: Die Koffer waren schwer. Antónios Gepäck war bis an den Rand vollgestopft mit wissenschaftlichen Büchern. Nach einem Imbiß in der Wohnung des Mannes, einem Nigerianer, der sich mit dem Namen „Jorge“ vorgestellt hatte, brachen sie auf. Unterwegs mußte „Jorge“ telefonieren. Er ließ sich zehn Pfennig geben und verschwand.

Die beiden Freunde warteten, bis sie begriffen, daß der hilfsbereite Fremde vermutlich nicht mehr auftauchen würde. Nachdem sie erfolglos an „Jorges“ Wohnungstür geklingelt hatten, verbrachten sie die Nacht auf dem Bahnhof. Mit nur vier Mark in der Tasche. Am nächsten Morgen gingen sie gemeinsam zur Polizei. Ihr 24stündiges Durchreisevisum war inzwischen abgelaufen. Nur ein Beamter sprach Englisch. Außerdem fühlten sie sich äußerst kühl von den Polizisten behandelt, die wegen des abgelaufenen Visums die Pässe der beiden einzogen.

Ein Beamter und eine Beamtin begleiteten sie zu der Wohnung. Als „Jorges“ Freundin die Tür öffnete, zeigte sie sich gelassen: Nein, sie kenne die beiden Afrikaner nicht, und ihr Freund sei weggefahren. Sie erlaubte der Polizei, einen Blick in die Wohnung zu werfen. Die Koffer waren nicht da.

Wieder zurück im Revier, schenkte ein Beamter den Bestohlenen zehn Mark. António konnte sich über die nett gemeinte Geste jedoch nicht freuen: „Ich fühlte mich erniedrigt. Ich wollte schließlich mein Recht, kein Almosen.“

„Ich wollte schließlich mein Recht und keine Almosen“

Nach zwei Tagen – die Visa waren mittlerweile verlängert worden – erkundigten sie sich nach dem Fortgang des Falls. Im Revier hatten sie den Eindruck, die anwesenden Beamten fänden die Unterlagen nicht. Sie verlangten einen Dolmetscher, was die Dienststelle mit Hinweis auf die Uhrzeit – es war 17 Uhr – für unmöglich erklärte.

Dafür drückten die Polizisten ihnen eine Adresse in die Hände – eine Adresse, versehen mit dem Vermerk „Freifahrt für zwei Personen“. In der Streitstraße 5 angekommen, wußten die beiden zuerst nicht, wie ihnen geschah, hatten sie doch erwartet, hier einen Ort zu finden, „an dem endlich alles klar wird“. Statt dessen standen sie vor erneuten Sprachschwierigkeiten, erzählt Tito António. Das Personal habe weder Englisch noch Französisch gesprochen.

Immerhin – das Wort Asyl ist international: „Asyl ja gut, hierbleiben“ – machte der Angestellte den zwei Afrikanern klar. „Asyl nein“ – er zeigte mit einer weitausholenden Geste Richtung Tür; ein Wink, dem António und Cenionga schleunigst Folge leisteten. Am nächsten Tag reisten sie ab – zur Polizei gingen sie nicht mehr: „Ich hatte keine Kraft mehr“, sagte Tito António.

Zugeknöpft gab sich die Berliner Polizei zu dem Fall. „Was soll ich dazu sagen? Ich bin doch kein Untersuchungsorgan“, reagierte Detlev Kayser von der Pressestelle zuerst. Schließlich bestätigte er, daß Cenionga und António eine Anzeige wegen Diebstahls gemacht hätten; in der Sache werde weiter ermittelt. Wieso die Bestohlenen ins Asylbewerberheim geschickt worden waren, wußte der Pressesprecher nicht zu erklären: „Dazu geht aus meinen Unterlagen nichts hervor.“ Monika Wittmann

Foto: Paul Langrock/Zenit