■ Standpunkt
: 120.000 Tote

„Brisant“, Montag, 17.10 Uhr, ARD

Es ist unbestreitbar. Mit ihrem neuen Boulevardmagazin „Brisant“ will die ARD genau jene Programmfarbe testen, auf die man bei der kommerziellen Konkurrenz bislang am verächtlichsten herabgeblickt hat. Okkultismus, Kindermord und Flugzeugabstürze im telemorphen Bilderreigen: „Unter den 120.000 Toten – Verzeihung, 120 Toten sollen neun Deutsche sein...“, hängte sich Moderator Andreas Spellig mit der Frage an den Kollegen Bednarz gleich mächtig aus dem Fenster. So viele Tote in einem Satz hätte sogar die von der FSK-Fernsehen erlaubte wöchentliche Leichenquote gesprengt.

Bei den Zwischentrailern ist das Stakkato der Bildschnitte mit aggressiven Rhythmen getaktet. Nach dem Vorbild: „Dranbleiben, ich zähle auf Sie!“ Heftig modern. Um so tiefer der Absturz, wenn darauf biedere und allzu brav gemachte Filmbeiträge folgen. Zum Beispiel über eine öffentlich(e)-(rechtliche) High-Tech-Toilette in einer Kleinstadt: Am Ende erfuhr man nicht einmal, wie viele simple Töpfe dort hätten hingestellt werden können, wäre auf die teure Technik verzichtet worden. Der anal-urinale Ausflug ging nicht einmal in die Hose.

Und was soll das überhaupt, eine fundamentalistische Christin besorgt über die Gefahren der Astrologie faseln zu lassen? Da hat wohl ein Redakteur allzu mathematisch gedacht, nach dem Motto: Minus mal minus gibt plus?

Am flachsten kam jedoch der „Bericht“ über das Schicki-Silvester in Gstaad in der Schweiz. Hilflos irrte die Kamera zwischen unbekannten Gesichtern umher, derweil uninspiriert von Glamour gestottert wurde. Mit sichtlicher Mühe bekam man wenigsten Jean-Claude Van Damme dazu, zwei Worte zu sagen.

Ich sehe Helmut Thoma fies lächeln. So einen Mist hätte nicht einmal der auf die Mattscheibe gelassen. Es sei denn, man hätte es noch schlechter gemacht. So aber hing das ganze Ding völlig in der Luft, nicht Fisch, nicht Fleisch. Das seriöse, produktionstechnisch saubere Outfit und die bewußt stumpfheimerigen Inhalte kommen nicht zusammen. Da beißt sich alles, und das Ganze hat keinen Biß.

Wie bei einer Selbsterfahrungsgruppe, wo einer dem anderen zaghaft gesteht: „Du, ich bin aggressiv auf Dich!“ Das ist so wenig „Brisant“, als würde Ulrich Wickert von den „Tagesthemen“ den „Heißen Stuhl“ bei RTL moderieren. Manfred Riepe