: Republikaner gegen „Republikaner“
Rastatt: Die alte Bastion der 1848er Republikaner und die „Republikaner“ von heute ■ Aus Rastatt Heide Platen
Lebenslust, „eine etwas barocke Lebensart“ hat Klaus-Eckhard Walker bei den Badenern ausgemacht: „Sie feiern eben sehr gerne.“ Und: „Sie sind zuverlässig, ruhig und besonnen.“ Der neue, 1991 direkt gewählte Oberbürgermeister von Rastatt, der „Barock- Stadt“ im Süden von Karlsruhe an Rhein und Murg, ist 41 Jahre alt. Er ist gerade ein Jahr im Amt und kommt aus dem Saarland.
Als Sozialdemokrat steht er einem Magistrat vor, in dem die CDU die stärkste Fraktion ist. Von einem Stadtvater hat er – altrosa Seidenhemd und passende Krawatte – aber auch nicht ein bißchen: „Ich glaube, die Leute wollten einfach keinen mehr, der in den alten Strukturen festgefahren war.“
Da haben die 45.000 Rastatter einen guten Griff getan. Walker kann Reden halten, dem Volk aufs Maul schauen und schwierige Themen blitzschnell und gescheit beim Namen nennen. Und er macht sich dabei mit Wonne einerseits Feinde, andererseits, sagt sein Pressereferent Gerhard Schaupel, ist er „in Sachfragen auch sehr vernünftig und kompromißfähig“.
Diese Fähigkeiten wird er brauchen bei seinem neuen „Lieblingsthema“, dem geplanten Umbau des ehemals kanadischen Militärflughafens in Söllingen, aus dem einige Nachbarkommunen, allen voran Baden-Baden und Karlsruhe, einen zivilen Flughafen machen möchten. Den hält Walker nämlich für völlig Überflüssig.
Rastatt kam Ende Oktober letzten Jahres in die Schlagzeilen, als die rechtsradikalen „Republikaner“ sich ausgerechnet dort zum Bundesparteitag versammelten. Es war der Stadt nicht gelungen, das Treffen in der Badner Halle durch Gerichtsbeschluß zu verhindern. Die Gemeinde, die ähnliche Krawalle und Negativschlagzeilen fürchtete wie bei dem Neonazi- Aufmarsch in Fulda, wehrte sich durch Öffentlichkeit. Walker organisierte kurzerhand eine Gegenveranstaltung mit Podiumsdiskussion. Die Stadt lud zusammen mit dem lokalen Radiosender „Victoria“ PolitikerInnen und Experten ein.
Eine Demonstration, zu der die Gewerkschaften und die SPD gerufen hatten, zog, allerdings in sicherer Entfernung, um den Veranstaltungsort herum. Ein Polizeiaufgebot schützte die „Republikaner“, prügelte auch auf empörte SchülerInnen aus dem Ort und einige wenige Autonome ein, aber, so Walker, „alles in allem ging es doch besser aus, als wir befürchtet hatten“. Das schreibt er auch seiner entschiedenen Stellungnahme gegen die Schönhuber-Partei zu, für die er „auch in der Presse“ sehr gelobt worden sei. Und das hat er gerne.
Ob er bei den nächsten Kommunalwahlen in der Stadt auch mit dem Einzug der Reps rechnet, die auf Landesebene elf Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnten? Nein, eigentlich nicht, sagt Walker hoffnungsfroh, obwohl ihm nicht entgangen ist, daß einige der CDU-Stadtverordneten „als interessierte Beobachter“ beim Parteitag der „Republikaner“ zu Gast waren. Und daß sie die Teilnahme an der Gegenveranstaltung ablehnten, ist ihm auch unangenehm aufgefallen. Aber: „Hier kennt doch jeder jeden, ich glaube nicht, daß Sie hier im Ort Kandidaten finden, die sich das trauen.“
Daß die „Republikaner“ sich gerade Rastatt aussuchten, ärgert Walker ganz besonders. Rastatt gilt schließlich als eine der letzten kämpferischen Bastionen der Revolution von 1848/49. In Baden, in Hessen, im Elsaß und anderswo demonstrierten die Menschen für Freiheit und gegen Zensur, meuterten Soldaten. Mannheim und Karlsruhe waren Zentren des Aufstandes. Der Bundestag setzte Truppen gegen die aufständischen Republikaner in Bewegung, die vom Bodensee aus losmarschiert waren.
Im April 1848 kämpften die Aufständischen, deren verschiedene Züge sich nur schleppend vor- und rückwärts bewegten und die nicht zusammenfanden, in verschiedenen Orten. Friedrich Hecker flüchtete nach einer kurzen Schlacht bei Kandern. Doch der Aufruhr gärte weiter. Im Frühjahr 1849 meuterten die badischen Soldaten in Rastatt, die besseren Sold, Abschaffung der Zensur, freie Offizierswahlen, gerechtere Steuern und Gerichtsbarkeit forderten. Anfang Juli 1849 belagerte die preußische Armee die Festung. Die Revolutionstruppen waren zerschlagen oder nach Abgabe ihrer Waffen in die Schweiz geflüchtet. Die Rastatter Soldaten kapitulierten nach 22 Tagen.
Im Hauptflügel des Schlosses eröffnete 1974 die vom Bundesarchiv betreute „Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte“. In Rastatt heißt sie kurz „Freiheitsmuseum“. Hier wirbt eine buntgemischte Dia-Show mit Musik, Getöse und Kanonendonner für Demonstranten und Widerständler vergangener Jahrhunderte. Nebenan klingen auf Knopfdruck pathetische und blutrünstige Revolutionslieder.
Stadtarchivar Wolfgang Reiß hält „das revolutionäre Bollwerk Rastatt eher für einen Zufall“. Den Meuterern aus der Kaserne „kamen die Revolutionäre gerade recht“. Sie hätten sich dann gemeinsam „eingeigelt“. Insgesamt aber seien die Rastatter „den Ideen der Demokratie gegenüber sehr aufgeschlossen gewesen“. Das bestätigt ihm auch das Tagebuch eines Bankiers, der die Belagerung vorsichtshalber von außen miterlebte, sich aber, obwohl selber „sehr konservativ“, „als Betroffener recht wohlwollend“ über die Revolutionäre äußerte. Demokratie sei damals, meint Reiß, „einfach in Mode gewesen“: „Die waren regelrecht demokratiesüchtig.“ Zu den Befürwortern gehörten Kaufleute, Gastwirte, Verwaltungsbeamte und Juristen.
Den Quellen über den heroischen Widerstand der Rastatter allerdings sei nur „vorsichtig“ zu trauen. Vieles sei erst später aufgeschrieben worden. Und das zu pompösen Anlässen, wie zum Beispiel zur 25-Jahr-Feier. Es sei sehr gut möglich, „daß da etwas geschönt wurde“.
Das heute von der Bundeswehr betreute Wehrgeschichtliche Museum auf der rechten Seite des Mittelbaus ist aus dem Badischen und dem Württembergischen Militärmuseum entstanden. Um seine Finanzierung wird zur Zeit gestritten. Dort sind Militaria aller Art zu sehen, Pickelhauben, Lanzen und Schwerter, Pulverhörner und Schlachtengemälde. In einem überdimensionalen Schaukasten marschieren detailgetreu zinnerne Kaiserliche und Österreicher in einer Monumentalschlacht gegen die Türken.
Die etwas fernere Vergangenheit ist der „Barock-Stadt“ näher. Da erlebte der Ort, 1084 zum ersten Mal erwähnt, seine Blütezeit. Schon die Römer sollen die strategisch günstige Lage am Rhein genutzt haben. Im Mittelalter entwickelte sich der Ort zum Handelsplatz für Salz und Wein. Die Wein- oder Schrotleiter im Stadtwappen wurde zum Transport der Fässer benötigt. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden machte es 1699 zur Residenz- und Garnisonsstadt. Er hatte in neun Feldzügen gegen die türkische Armee gekämpft und verdiente sich damit daheim den Spitznamen „Türkenlouis“, stritt dann für den Kaiser gegen Franzosen und Bayern. 1707 starb er, inmitten des fieberhaften Umbaus von Rastatt, an den Folgen einer Kriegsverletzung. Seine Witwe, Markgräfin Sibylla Augusta, baute sein Lebenswerk, Schloß, Festungen und Stadtanlage, zu Ende. Sie holte Künstler und Handwerker aus ganz Europa in die Stadt. Das war nicht nur der strategisch günstigen Lage des Ortes geschuldet. Die Region, so Reiß, „war damals arg runtergekommen“, ein „strukturschwaches Gebiet“.
Im markgräflichen Schloß handelten die Delegierten aus Wien und Paris 1714 den Rastatter Frieden aus. Und Rastatt hat einen bis heute ungelösten weltpolitischen Kriminalfall, den „Gesandtenmord“ am Abend des 28. April 1799, dem zwei französische Gesandte zum Opfer fielen, die dort mit dem bereits vor ihnen abgereisten Fürsten Metternich zum Friedenskongreß zusammengekommen waren. 1841 avancierte Rastatt zur Bundesfestung, deren Bau zwei Jahre später begann. Sie war fast fertig, als 1849 sich die republikanischen badischen Soldaten in dem für damalige Zeiten gigantischen Bollwerk verschanzten.
Militär und Hof brachten einen enormen Aufschwung. Eine der ersten Fabriken produzierte vor allem Waffen. Ein Adreßbuch aus dem Jahr 1803 belegt, daß die Firma Schlaff ganze Straßenzüge aufgekauft hatte. Schon sie hinterließ dem Ort giftige „Altlasten“. Industrie siedelte sich dann erst wieder gegen Ende des Jahrhunderts an, vor allem aus der Eisen- und Metallverarbeitung. Kritiker bemängeln, daß das barocke architektonische Erbe manchmal auch nicht sonderlich gut gehütet worden ist. In das Gebäude neben dem Rathaus zog ein Supermarkt ein. Auch sonst erinnert oft nur noch die Straßenführung an die ursprüngliche Anlage der Stadt.
Im Stadtmuseum ist zur Zeit eine Ausstellung über Rastatt in den Jahren von 1933 bis 1945 zu sehen. Diese Zeit, stellte Reiß fest, „kommt in den Stadtführern bisher nicht vor“. Von Widerstand in der Tradition der 1848er Revolution gegen den Faschismus konnte er, als er die Ausstellung zusammen mit einer Studentin jahrelang vorbereitete, nicht viel entdecken: „Es war hier nicht anders als in anderen badischen Städten auch.“ Genausoschnell wie anderswo auch setzte sich die NSDAP durch, wurden Vereine „gleichgeschaltet“. Zeitungsausschnitte und einige wenige Dokumente aus dieser Zeit wundern Reiß trotzdem. Da hätten die „neuen, frischgebackenen Volksgenossen“ die Laudatio für die alten Vereinsvorstände gehalten und „ganz schnell und fast übertrieben“ deren Zuverlässigkeit bestätigt: „Die ernannten sich gegenseitig zu alten Kämpfern.“ Sie seien nicht etwa durch linientreue Nachfolger ersetzt, sondern wiedergewählt worden.
Aber in Rastatt habe es immerhin schon 1952, „und das war sehr, sehr früh“, eine Gedenktafel für die 1938 abgebrannte Synagoge gegeben. Die Zahl der in und um Rastatt beschäftigten Zwangsarbeiter läßt sich nicht mehr genau feststellen, sondern nur aus Arbeitsnachweisen einiger Firmen hochrechnen. Nach der Besetzung durch die Franzosen seien dann im Lager Displaced persons, Verschleppte und Menschen auf der Flucht, untergebracht worden.
Noch hat sich der Sparzwang der Kommunen nur wenig auf Rastatt ausgewirkt. Aber, so Oberbürgermeister Walker, „im kommenden Jahr müssen auch wir sparen“. Gemeinnützige Aufgaben sollen „zuletzt“ zusammengestrichen werden. Zuerst wolle die Verwaltung „bei sich selber zu sparen beginnen“. Das, meint Walker, „können alle verstehen, man muß es den Leuten nur sagen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen