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Vor den Shetlands ist das Meer blau

Ein Jahr nach der großen Tankerhavarie hat sich der Ölteppich aufgelöst und großflächig im Meer verteilt / Den Schaden haben die Tourismusbranche und die Fischer  ■ Von den Shetlandinseln Hans-Jürgen Marter

Als Jim Wallace, liberaler Unterhausabgeordneter für die Shetland- und Orkneyinseln, im Jahre 1987 den damaligen britischen Schiffahrtsminister mahnte, die Küsten seiner Heimat vor möglichen Tankerunfällen zu schützen, bevor etwas passiert, unterlag er einem grundlegenden Irrtum. Denn auch nach der Havarie des Tankers „Braer“ heute vor einem Jahr tat die Regierung nichts, um die Gewässer sicherer zu machen.

Der amtierende Schiffahrtsminister des Vereinigten Königreichs, Lord Caithness, hat es denn auch vorgezogen, an einer Pressekonferenz anläßlich des ersten Jahrestages der Tankerkatastrophe nicht teilzunehmen. Jonathan Wills, Abgeordnter im Inselparlament, spricht für die Mehrheit der Bevölkerung: „Wir brauchen Radarüberwachung für unsere Küsten und einen hochseetauglichen Schlepper, um beim nächsten Mal reagieren zu können. Diesmal hatten wird sehr viel Glück.“

Ein Jahr nach der Tankerkatastrophe sind die Strände wieder sauber, ist das Meer blau wie zuvor, und auch für die befürchteten Langzeitschäden in den berühmten Vogelkolonien gibt es bislang keine Anzeichen. Die 85.000 Tonnen Rohöl, die während der ersten Januartage ins Meer flossen, sind verschwunden. Der tagelange Sturm hat das Öl aufgebrochen und großräumig in die Weiten des Ozeans verteilt. Nur im Labor lassen sich noch Partikel nachweisen.

Doch mit dem Öl gingen nicht die Probleme. Scheinen auch die ökologischen Langzeitschäden auszubleiben, die wirtschaftlichen werden die Inselbewohner noch lange spüren. Besonders die Tourismusindustrie muß Einbußen hinnehmen. Die florierende Branche, ein wichtiger Baustein in der Inselökonomie, schrumpfte 1993 um 11 Prozent. Bis 1998 rechnet Maurice Mullay, Geschäftsführer des Tourimusverbandes, vor, werden sich die Einbußen auf umgerechnet 40 Millionen Mark belaufen. Seinen Worten zufolge habe Shetland im Januar 1993 weniger eine Verschmutzung durch Öl, sondern vielmehr Schaden durch die Berichte darüber erlitten.

Auch die Fischindustrie, besonders die Lachszucht, hat Schaden genommen. 2,5 Millionen Zuchtlachse wurden notgeschlachtet und zu Tierfutter verarbeitet, weil ihr begehrtes Fleisch mit Kohlenwasserstoffen vergiftet war. Die Fischfarmer erhielten vom „Internationalen Fonds für die Entschädigung bei Ölverschmutzungen“, einen Ausgleich. Auf 88 Millionen Mark berechnete der Fonds die Schäden: verglichen mit anderen Tankerkatastrophen, wie dem Unglück der Exxon Valdez, eine billige Tankerhavarie.

Unterdessen erhält die Debatte um die Sicherheit neue Nahrung. Das niederländische Bergungsunternehmen Wijsmuller stationiert einen hochseetauglichen Schlepper im Lerwicker Hafen und erfüllt somit indirekt eine der Forderungen der Menschen Shetlands. Nur: Das holländische Unternehmen war niemals Adressat ihrer Petitionen. Die Beweggründe von Wijsmuller sind rein kommerzieller Natur. Die Gewässer um Shetland versprechen viel Arbeit. Wijsmuller hofft auf einträgliche Geschäfte in den Ölfeldern der nördlichen Nordsee. Und wenn sich die Gelegenheit bieten sollte, wäre man sicherlich nicht abgeneigt, einen außer Kontrolle geratenen Tanker von der Küste Shetlands aufs offene Meer zu ziehen.

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