: Mammutprojekt Nummer 17
■ Der Ausbau der Wasserstraßen zwischen Hannover und Berlin ist der umstrittenste Plan deutscher Einheit / Manche sehen die Wirtschaft wachsen, Naturschützer bezweifeln das
Bis heute sei die Öffentlichkeit nicht ausreichend über die wirtschaftliche Notwendigkeit des „Jahrhundertwerkes“ informiert, klagt Brandenburgs Umweltminister Matthias Platzeck (Bündnis 90/ Grüne). Er befürchtet einen Jahrhunderteingriff in die Natur. Ein bautechnisches Jahrhundertwerk wäre das sogenannte Projekt 17 „Deutsche Einheit“ des Bundesverkehrswegeplans ohne Zweifel. Das bisher mit vier Milliarden Mark veranschlagte Mammutprojekt, das der zurückgetretene Verkehrsminister und Ost-Aufsteiger Günter Krause (CDU) noch auf den Weg gebracht und in den Verkehrswegeplan als „vordringlicher Bedarf“ eingestuft hatte, sieht den Ausbau der 280 Kilometer langen Wasserstraße von Hannover zur Hauptstadt Berlin für die Großschiffahrt vor.
Bisher fahren auf den Kanälen und Flüssen zwischen Hannover und Berlin – Mittellandkanal, Elbe-Havel-Kanal, Untere Havel-Wasserstraße – in der Regel nur Schiffe von maximal 80 Meter Länge und neun Metern Breite. In Zukunft sollen zwischen dem Ruhrgebiet und Berlin Schubverbände von 185 Metern Länge und 110 Meter lange Lastkähne pendeln können. Für diese Riesenpötte mit bis zu 3.500 Tonnen Tragfähigkeit reichen die Dimensionen der vorhandenen Wasserwege nicht aus. Kernstück der Ausbaumaßnahmen ist die Errichtung einer eine Milliarde Mark teuren Flußbrücke bei Magdeburg: Dort soll die Elbe über die Havel hinwegfließen. Auf der gesamten Wasserstrecke müßte man die Fahrrinne von derzeit zweieinhalb auf mindestens vier Meter Tiefe ausbaggern und die Gewässerkurven teilweise auf das Doppelte verbreitern. Dazu sind mehrere Schleusen auf 190 Metern Länge um- oder neuzubauen.
Gelangen Großschiffe westeuropäischen Formats erst einmal bis nach Berlin, wird es in den neuen Bundesländern zu einer erheblichen Steigerung der umweltfreundlichen Gütertransporte auf dem Wasser kommen, spekulieren die Befürworter des Milliarden- Projekts. Die Großschiffahrtsstraße trage entscheidend zum Erhalt von Arbeitsplätzen bei und sei geradezu Grundvoraussetzung für einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Magdeburger und Berliner Region. Die Fans der Schiffs-Autobahn berufen sich auf eine Rentabilitätsstudie des Bundesverkehrsministeriums, nach der für jede in die Wasserstraße investierte Mark ein Gewinn von 6,60 Mark zu erwarten ist. Für den Biologen Manfred Krauß vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist dagegen das Vorhaben „wirtschaftlich nicht vernünftig zu begründen“. Krauß verweist auf die Aussagen des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums, wonach die Wasserstraßen in Brandenburg derzeit zu bloß zwanzig bis dreißig Prozent ausgelastet sind. Die Transporte zu Wasser könnten also auch ohne Ausbau um das Dreifache gesteigert werden.
Inzwischen können die in einem Aktionsbündnis vereinigten Ausbau-Gegner mit eigenen Prognosedaten aufwarten. Danach rechnet sich das Bonner Vier-Milliarden-Projekt kaum. Statt der von Bonn errechneten 6,60 Mark Gewinn pro eine Mark Investition kam das von den Ausbau-Gegnern beauftragte Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung nur auf 2,20 Mark. Die Wirtschaftsfachleute des Instituts warfen dem Verkehrsministerium vor, den Nutzen der Großschiffahrtsstraße mit veraltetem Datenmaterial aus dem Jahr 1988 geschönt zu haben. Überdies seien deren ökologische Folgekosten noch nicht untersucht. Der Ausbau der brandenburgischen Havelseen habe so wahrscheinlich üble Folgen für den gewinnbringenden Tourismus in der naturnahen Region.
Von schwerwiegenden Eingriffen bedroht ist besonders der ökologisch sensible Havelabschnitt zwischen den Städten Ketzin und Brandenburg, in dem es allein neun Natur- und vier Landschaftsschutzgebiete gibt. In diesem Gebiet durchfließt die Havel viele Seen, hat zeitweise überflutete Inseln und Altarme ausgeprägt. Bedrohte Tierarten wie Biber, Fischotter und Kraniche sind auf den Feuchtwiesen beiderseits der Kanäle beheimatet. „De facto bedeutet der Ausbau der Havel ihre Eindeichung, verbunden mit einem enormen Arten- und Biotopschwund und einer Preisgabe dieses landschaftlich schönen und einmaligen Gebietes“, heißt es in dem von den Ausbau-Gegnern bestellten Gutachten. Geplant ist, die begradigten Flußufer durch Steinschüttungen oder Spundwände zu befestigen. Die ökologisch wichtigen Flachwasserzonen verschwänden.
Allerdings spielen die Kanalbauer in der dem Verkehrsministerium nachgeordneten Wasser- und Schiffahrtsdirektion Ost (WSD) das Ausmaß der Eingriffe herunter. Nur an vier Stellen seien „Kurvenabflachungen von geringfügiger Ausdehnung“ erforderlich, verharmlosten sie das Ausmaß des Naturfrevels in einer überarbeiteten Projektbeschreibung. Die röhrichtgesäumten Fluß- und Seeufer würden nur zu etwa vier Prozent „verändert“. Es könne ein „ökologisch tragbarer und relativ konfliktarmer“ Gewässerausbau erwartet werden, nahmen die Kanalbauer das Ergebnis einer ausstehenden Umweltverträglichkeitsprüfung vorweg.
Zum Ärger Bonns beschloß die brandenburgische Landesregierung aber, die Prüfung in ein förmliches Raumordnungsverfahren einzubetten. Dabei muß untersucht werden, wie sich das gesamte Wasserstraßenprojekt auch auf die angrenzenden Gewässer auswirkt. Die hydrologischen und ökologischen Langzeitfolgen des Projekts sollen mit betrachtet werden. Welche Auswirkungen die Eingriffe auf den Wasserhaushalt der Havel und damit auf die Trinkwasserversorgung im Großraum Berlin haben werden, ist derzeit schwer abzuschätzen. Vorsorglich machten die Wasser-Experten der Berliner Umweltverwaltung jedoch schon eindringlich auf die eventuellen negativen Folgen der Ausbauplanung aufmerksam: Infolge eines erhöhten Abflusses des Wassers durch die vergrößerten Schleusen könnte der Wasserstand in der Havel drastisch fallen.
Immerhin steht bereits fest, daß unter dem Diktat des Rotstiftes der Ausbau der Berliner Wasserstraßen sparsamer als vorgesehen ausfallen wird. Der zum innerstädtischen Osthafen führende Teltowkanal wird nicht mehr, wie ursprünglich vorgesehen, für den Gegenverkehr ausgebaggert. Entgegenkommende Schubverbände sollen an speziellen „Ausweichstellen“ aneinander vorbeituckern. Nachdem sogar Berlines Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) aus finanziellen Gründen für eine Kehrtwendung plädierte, sollen jetzt statt über 45 allenfalls noch 30 Kanalbrücken höher gelegt oder neugebaut werden. Zur Anbindung des zweiten innerstädtischen Großhafens, des Osthafens, werden die empfindlichen Havel- und Spreeufer jetzt nur noch an wenigen Stellen weggebaggert, versprachen die Beamten der Schiffahrtsdirektion. Die Schleuse Charlottenburg bekomme das Sparmaß von 115 Metern.
Doch bleibt die grundsätzliche Frage, ob die Kanäle nach Berlin überhaupt für „Brummis“ ausgebaut werden müssen und nicht vielmehr die Kähne den Kanälen anzupassen sind. So sind nach Ansicht des „Wuppertal-Instituts“ für Klima, Umwelt und Energie große Schiffe ungeeignet, die neue Aufgabe des Containerverkehrs – den Transport hochwertiger Güter – und der direkten Belieferung beispielsweise von großen Versandhäusern auf kleineren Wasserwegen als auf dem Rhein zu erfüllen. Für die neuen Bundesländer seien kleinere Flachwasser-Schiffstypen günstiger. Thomas Knauf
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