Eigentor

■ "Seid verschlungen, Millionen", heute um 20.15 Uhr bei West 3

Fernsehen über Fernsehen ist in der deutschen TV-Landschaft ein eher vernachlässigtes Genre – trotz diverser Medienshows wie „Canale Grande“ oder „Parlazzo“. Zum zehnten Geburtstag von RTL, dem kommerziellen Sender, der unsere müden Augen am längsten und erfolgreichsten strapaziert, haben sich jetzt zwei WDR- Autoren mutig ins Innerste der medialen Finsternis gewagt. Resultat der mit naivem Glauben an das bessere Fernsehen gestarteten Expedition: 45 Minuten öfffentlich- rechtliches Zähneknirschen.

Neidlos müssen Jürgen Bevers und Jochen Dietrich, die Autoren der Reportage „Seid verschlungen, Millionen“, zunächst einmal einige Tatsachen anerkennen: RTL hat die höchsten Werbeeinnahmen aller deutschen Sender und erreicht immer häufiger Einschaltquoten, die die Reichweiten von ARD und ZDF übertreffen. Bei der für die Werbung besonders interessanten Zielgruppe der 14- bis 49jährigen ist RTL mittlerweile sogar Marktführer.

Aber auffällig unkritisch sitzen die Autoren auch der geschönten RTL-Propaganda auf: Obwohl Bevers und Dietrich den Eindruck erwecken, die Sendelizenz des Kommerzsenders sei mittlerweile so etwas wie eine Genehmigung zum Gelddrucken, schreibt RTL tatsächlich erst seit einem knappen Jahr schwarze Zahlen. Mit den Einnahmen der letzten Jahre mußten erst mal die Schulden der Vergangenheit bedient werden.

Die beiden WDR-Autoren verfolgen eine andere Demontagestrategie: Medienkritiker wie Bernward Wember geben den Reportern bereitwillig die öffentlich- rechtlichen Lieblings-Stichworte: Die Privaten wollen nicht informieren und aufklären, belehrt uns Wember. Sie verstehen ihr Programm als Dienstleistung, das der werbetreibenden Industrie zahlungskräftige Zielgruppen ans Messer liefert. Selbst Informationssendungen wie die neue Reportageserie „Tag X“ dürften darum nur reklamekompatible Themen behandeln, ansonsten herrsche im RTL-Programm vor allem Flachsinn: Brot und Spiele, Volksbelustigung und Herzschmerz.

Es ist dann vor allem der deutliche Kontrast zwischen den statischen Aufnahmen von quasselnden Medienkritikern und den bunten, lauten RTL-Trailern, zwischen dem fetten Helmut Thoma in seinem Chefbüro und dem asketisch wirkenden HR-Mann Wilhelm von Sternburg vor seinem Bücherbord, der letztlich unfreiwillig zur Erklärung des privaten Erfolgs wird.

Auf eindrucksvolle Weise illustrieren diese gegensätzichen Bilder, wieso RTL mittlerweile Marktführer ist. Es ist die schiere Evidenz der Ästhetik, die klarmacht, wieso die Programme von ARD und ZDF gegen den populistischen Schwachsinn von RTL immer schwächer aussehen. Tilman Baumgärtel