In the Line of Popcorn

■ Kevin Costner versucht sich als Bösewicht in Clint Eastwoods „Perfect World“

Nachdem er Whitney Houston retten durfte, war der Mann größer als die New Kids on the Block. Schon vorher hatte Leutnant John J. Dunbar alias Kevin Costner seinen Wolf und seine neuen Orden ohne Not eingemottet und war als Märchenprinz Robin Hood durchs nasse englische Unterholz gehopst. Damit hatte er sich einen verdienten Top-Platz an den Posterwänden der Kleinmädchenschlafzimmer erobert. Danach hätte er eine Litfaßsäule in Lima spielen können, und es hätte mehr blutende Teenieherzen gegeben als angeschossene Büffel in seinem Indianerfilm. Aber Costner wollte mehr, und er schaffte es. Als Bodyguard der erwähnten Singdrossel stieg er zum angebeteten Meister auf, für den nicht nur Herzen zwischen den Kinositzen dahinschmolzen. Größer kann kein Mann werden.

Vorsicht war geboten. Von der Spitze führt jeder Weg nach unten. Ein lästiger Ausrutscher (siehe Michael Jackson) und man kann sich mit all den Dollars und Trophäen in seinen Privatzoo zurückziehen. Außerdem werden Teenies älter und stehen dann auf Tom Cruise. So weit wollte es Mr. Costner nicht kommen lassen. Also begab sich der Liebling der Popcorn-Verkäufer und Polsterer leichtfertig in die Hand eines Profis – dem der ganze Starrummel völlig schnuppe ist. Natürlich fand sich niemand, der den Umschwärmten warnte – Neid und Mißgunst heißen zwei der kreativen Säulen Hollywoods.

Auch Clint Eastwoods Stern strahlt zur Zeit (oder besser: immer noch) verdammt hell, er aber blieb dabei frech wie Oscar. „Ich werde mir doch nicht von acht Millionen Popcornfressern vorschreiben lassen, was ich zu tun oder zu lassen habe“ („Weißer Jäger, schwarzes Herz“), lautete seine Maxime. Er drehte „Erbarmungslos“, und den Popcornfressern blieb ihr Gemüse im Hals stecken. Für Kevin Costner hatte er sich ebenfalls etwas Besonderes einfallen lassen: Er läßt ihn erschießen.

„Perfect World“ beginnt wie ein Thriller, der er nicht ist, aber auch nicht sein will. Es ist Halloween im Texas des Jahres 1963. Alle Vorstadtkinder spielen ihr „Trick or Treat“ und amüsieren sich prächtig – alle außer dem achtjährigen Phillip Perry (T.J. Lowther). Der Junge hat echt nichts zu lachen, denn seine Mutter ist eine Zeugin Jehovas, und der verbietet nun einmal so verwerfliche Rituale wie das Sammeln von Süßigkeiten. Ein paar Kilometer weiter, im Knast von Huntsville, sitzen zwei, die verständlicherweise ebenfalls nicht viel Spaß haben. Der eine ist ein wahrhaftiger Fiesling, ein Kinderschänder namens Terry Pugh (Keith Szarabajka); der andere, Butch Haynes (Kevin Costner), ist zwar auch nicht von Pappe (40 Jahre wegen bewaffneten Raubüberfalls), macht auf den ersten Blick jedoch einen ganz passablen Eindruck. Zum oktoberlichen Spukfest spielen sie ihren Wärtern einen Streich und brechen aus. Kurze Zeit später stehen sie vor dem Haus der Jehova-Sklaven. Dem Kinderschänder läuft beim Anblick des Abendbrots und der Köchin das Wasser im Mund zusammen. Er stürzt ins Haus, der gute Costner hinterher. Mama und Klein Phillip sind entsetzt, die Küche geht zu Bruch, und plötzlich steht ein Nachbar samt Schrotflinte im Raum. Die beiden Gangster nehmen den Jungen als Geisel und geben Vollgas.

Jetzt kommt der Jäger ins üble Geschehen, und der heißt, wie könnte es anders sein, Clint Eastwood alias Texas-Ranger Red Garnett. Er beschlagnahmt kurzerhand das schicke Wohnmobil des Gouverneurs, der an der schnellen Erledigung des Falls eh ein großes Intresse hat, weil er sich erstens seine Wiederwahl nicht vermasseln lassen will, und zweitens in kurzer Zeit Präsident John F. Kennedy Dallas besuchen möchte. Da die Zuschauer natürlich wissen, was mit JFK passieren wird, ist eine gewisse Grundstimmung somit vorgegeben. So weit so gut. Aber jetzt macht Regisseur Eastwood seinen ersten Fehler: Laura Dern tritt auf.

Die Dern geht als Kripobeamtin Sally Gerber mit auf die Menschenhatz und grinst doch nur die ganze Zeit genauso blöd wie in „Jurassic Park“. Okay, Anfang der 60er war die Mitarbeit einer Frau in dieser Art von „Männerjob“ eine Seltenheit, und Eastwood wollte wohl eine zusätzliche Spannung ins Machoteam bringen, allein es funktioniert nicht. Wenn er wenigstens eine Schauspielerin genommen hätte. Laura Dern ist nur ein Störfaktor, der den Fluß der Geschichte aufhält. Und die fließt zu dieser Zeit sowieso kaum noch.

Nachdem Costner seinen Kumpanen in einem Maisfeld abgeknallt hat, weil der sich an Phillip herangemacht hatte, ist alles klar. Der Gangster und der Junge werden dicke Freunde. Wehmut wabert durchs texanische Hinterland. Costner wuchs ohne Vater auf und wurde zum Gewohnheitsverbrecher, der Kleine kennt auch keinen Papa und muß den ganzen Tag lang beten. Wirklich schlimm – aber auch Stoff für eine wunderbare neue Beziehung. Alle HausfrauenpsychologInnen im Kinosaal haben null Problemo, die Sache zu analysieren – alle anderen beginnen zu gähnen.

Zum Schluß kommt doch noch etwas Action ins fade Spiel. Diejenigen die fast eingenickt sind, aber ein Auge noch so eben offen gelassen hatten, weil sie hofften, daß irgend jemand Laura Dern abballern würde, werden nur halb enttäuscht: Kevin Costner muß dran glauben.

Phillip hat nämlich von seinem Möchtegernvater, den er plötzlich gar nicht mehr nett findet, die Schnauze voll und schießt ihm ein Loch in den Bauch. Costner verzeiht ihm sofort, weil er ja von Anfang an wußte, wohin diese ewige Beterei führt. Er schleppt sich blutend unter einen Baum auf grüner Wiese und gibt dem heulenden Phillip noch ein paar nette Sprüche mit auf den Weg. Inzwischen sind die Rednecks samt quietschfideler Laura Dern eingetroffen. Eastwood will eigentlich nicht, aber ein Scharfschütze gibt Costner den Rest. Dafür bekommt er von Clint eins in die Fresse und von Laura einen Tritt in die Eier. Fertig. Abspann.

Clint Eastwood hat mit „Perfect World“ einen sauberen Flop gelandet. Gut, darf er. Der Mann hat so einen großen Bonus, besonders nach „Erbarmungslos“ und „In the Line of Fire“, daß man ihm locker einiges nachsehen kann. Laura Dern konnte gar nicht enttäuschen, weil wir sie schon mal gesehen hatten. Und Kevin Costner? Der war nur auf den ersten Blick fehlbesetzt. Seine Plastikpopper- Karriere hat nur leichte Kratzer abbekommen. Nichts, was ein Jahr in den Tropen und ein neuer Film mit Whitney Houston nicht wieder einrenken könnte. Wer so schön stirbt, dem nimmt kein Teenie den Bösewicht ab. Diesmal werden nur die Augen naß, aber damit kann Costner seine Fangemeinde sogar noch erweitern: Die Hersteller von Papiertaschentüchern werden den Film lieben. Karl Wegmann

Clint Eastwood: „Perfect World“; mit Kevin Costner, Clint Eastwood, Laura Dern u.a.; USA 1993, 138 Min.