■ Zum Dreikönigstreffen der FDP:
: Flexibel ja, aber in welcher Richtung?

Existenzsicherung durch Flexibilität war schon immer die Stärke der Liberalen. Nur die kurze Phase der absoluten Unionsmehrheit unter Adenauer und der Großen Koalition 1966–69 mußte die FDP auf den Oppositionsbänken überdauern. Ansonsten war sie noch in jeder Bundesregierung mit von der Partie. Wann immer die alte Konstellation brüchig wurde, gelang der Wechsel. Das soll auch 94 so bleiben. Doch das Jahr der 18 Wahlen stellt höchste Anforderungen an die Parteistrategen, und bislang sieht nichts danach aus, als seien sie auch diesmal dem Wende-Examen gewachsen. Daß gerade zum traditionsreichen Dreikönigstreffen, auf dem Parteichef Kinkel die liberale Profilierungsoffensive starten wollte, der parteiinterne Streit voll entbrannt ist, klingt wie eine Ironie auf die gewitzte Wendefähigkeit von einst.

Bislang ließen sich die Inhalte an der Option des Machterhalts ausrichten. Ob das wirtschaftsliberale Profil die rechtsstaatlichen Prinzipien und emanzipatorischen Ansätze aufweichte – oder umgekehrt –, war weniger eine Frage politischer Überzeugung als koalitionärer Opportunität. Doch welcher Konstellation gehört die nächste Legislaturperiode? Reicht es noch einmal für das Bündnis mit den Konservativen, droht die Große Koalition, oder muß man schon jetzt auf Scharping zugehen, plus/minus Grün? Aus der aktuellen Prognoseunsicherheit resultiert das strategische Dilemma: Den Konservativen will man die Tür noch nicht zuschlagen, den Sozialdemokraten jedoch schon Wechselbereitschaft signalisieren. Und dann sind da noch die Wähler, auf deren Treue sich die FDP so wenig verlassen kann wie die jeweiligen Regierungspartner auf die Anhänglichkeit der Liberalen. In der FDP herrscht Konfusion.

Ausgetragen wird der innerparteiliche Konflikt derzeit an den Streitfragen Lauschangriff und Präsidentschaftsnachfolge. In beiden Fällen setzt Kinkel auf kontrollierte Distanz zur Union – in beiden Fällen gehen prominente Parteifreunde auf Distanz zu Kinkel. Weist der den Koalitionspartner zurecht, die Debatte um den Lauschangriff sei für die FDP beendet, wird sie prompt von den eigenen Leuten wieder eröffnet. Bestätigt er ausdrücklich die Kandidatur von Hildegard Hamm-Brücher, melden sich die FDPler zu Wort, die den Koalitions-Affront verhindern und lieber mit der Union einen gemeinsamen Kandidaten unterstützen wollen.

Die neue Eigenständigkeit – als Druckmittel gegen die Union oder Durchgangsstadium fürs neue Bündnis – würde Kinkel nach außen schon gerne signalisieren. Doch dazu müßte er sie nach innen auch durchsetzen können. Das mißlingt. Daran könnte die FDP diesmal scheitern. Denn trotz ihrer erwiesenen Beweglichkeit verliefen auch die zurückliegenden Kursänderungen als Zerreißproben, die nur mit der ganzen Autorität der Parteiführung durchgestanden werden konnten. Selbst für Hans-Dietrich Genscher geriet seinerzeit der Wechsel um ein Haar zur parteiinternen Katastrophe. Doch die Katastrophe, so scheint es, muß Kinkel schon abwehren, noch bevor er sich überhaupt zum Kurswechsel entschlossen hat. Nichts deutet darauf hin, daß er schon weiß, was er will. Und wenn er es weiß, spricht wenig dafür, daß er sich damit auch durchsetzen kann. Führungskrise, Orientierungskrise, am Ende gar die Existenzkrise – kein schöner Auftakt fürs Wahljahr 94. Matthias Geis