Fall nicht auf, und faß dich kurz

■ Eine kleine Architekturkritik zum Stadtmöbel der Telekom: Die neuen mausgrauen Telefonzellen - eine Mischung aus mittelalterlichen Zaunpfählen und Badezimmerarmaturen

Mal ehrlich: Wer zwängt sich schon gern in gelbe Berliner Telefonhäuschen? Aus schierer Not benutzt man sie. Oder? Denn die klaustrophobischen Zellen gehören zum Unpraktischsten, was die Bundespost als Stadtmöbel jemals entwarf. Mit einem hilflosen Gefühl der Ohnmacht hörte man das Kleingeld durchfallen. Und wenn das einmal funktionierte, fehlte sicher die herausgerissene Seite im Telefonbuch, oder es stank garantiert nach kalter Asche oder Urin. Klar ist: Zu dem Symbol für ein technisch-kulturelles Netzwerk, wie etwa Englands rote Häuschen, konnten so die gelben Klein-Boxen nie werden.

Alles soll nun anders werden. Gelb ist out, pink ist in. Man hat sich Mühe gegeben, das sieht man auf den ersten Blick. Die neuen Telefonzellen der sich modisch gebenden Telekom tragen ein pinkfarbenes Häubchen oder Flachdächelchen und sind samtgrau und weiß gekleidet. Um dem Äußeren des „neuen Typs“, so Telekom- Sprecher Bernhard Krüger per Telefon, Schnittigkeit zu geben, ließen die Designer die weißen Rahmenteile spitz zulaufen und paßten das Dach geschickt ein. Eine graue Bauchbinde hält den kantigen Glaskasten mit einer Metallrückwand zusammen. Eine Signalleuchte über dem Eingang zeigt dem Telefonsuchenden an: Achtung, hier trumpft die Telekom! Auch der Komfort der Zellen, sagt Krüger, sei mit kostenlosen Notrufeinrichtungen, dem Verzicht auf Schwermetalle bei der grauschwarzen Ausstattung, Wartungsfreundlichkeit und einer leicht lesbaren Bedienungsanleitung „ein Schritt nach vorn“.

Einstweilen knallt man noch gegen die Glasscheiben und rüttelt vergebens an verschlossenen Türen. „Bald geht's los“, meint ein Schild an den neuen Zellen, etwa an der Potsdamer Straße. Wann und was, steht nicht dabei. Entschieden aber ist, daß in den nächsten zehn Jahren alle 8.100 gelben Berliner Telefonzellen gegen pinkgraue für einen Stückpreis von 15.000 Mark ausgetauscht werden. Die unrentablen, demolierten Zellen und die mit Münzspeicher treten zuerst ab. Das läuft „Zug um Zug“, sagt Krüger. Bereits 1997 sollen in 90 Prozent nur noch Karten passen.

Die neuen Graupinken, erklärt Kürgers Kollege Bruchmüller, verkörpern so in Form und Farbe die Corporate Identity der graupinken Telekom. „Mit der gelben Post haben wir seit 1990 nichts mehr zu tun.“ Diese hatte noch 1986 einen Wettbewerb unter Telefonzellenspezialisten ausgelobt, doch das Ergebnis veränderten die Telekomdesigner und setzten noch eins drauf. Darum kann man in den spitzen Rahmenteilen auch plumpe Zaunpfähle und in der fehlenden Basis mangelnde Standfestigkeit sehen. Sicher ist, daß die handfesten Türgriffe einer Badezimmerarmatur eines Zehnkämpfers entnommen sind.

Und es kann noch schlimmer kommen, etwa wenn die von Richard Sapper entworfene germanische Variante der Telekommunikation für bundesdeutsche Studentenstädte oder das Berliner Nicolai-Viertel auf graupink umgespritzt werden sollten, wie der Hamburger Designer Michael Erlhoff fürchtet: „Butzenscheiben wie im Mittelalter, oben auf der Zelle Nippel mit Ösen wie bei Müllcontainern und insgesamt in der Anmutung biederste prämoderne Gemütlichkeit. Und innen drin ist alles so wie immer: eng, unpraktisch, zellenmäßig, also stets drohend: Fasse dich kurz.“

Es ist richtig, wie in den Sapper- Zellen ist der Service in den neuen Telefon-Kästchen unsäglich. Behinderte und Nichtbehinderte werden die neuen Zellen hassen lernen ob ihrer tumben Unhandlichkeit. Die Boxen sind für Rollstuhlfahrer nicht benutzbar. In der Glashaut, die bei Streßgesprächen nach kurzer Zeit beschlägt, finden sich keine Ablagen für Taschen oder ähnliches. Und auf die Idee, daß sich auch zwei Menschen in der Zelle aufhalten könnten, ist bei der Telekom niemand gekommen.

Trostlos, daß ein Neubeginn bei den Telefonhäuschen wieder verschlafen wurde. Zum Beispiel hätte man die Zellen zugunsten frei zugänglicher Telefonanlagen abschaffen oder (wie in Frankreich und England geplant) sie zu Schaltstellen drahtloser Apparate ausbauen können. Nichts dergleichen geschah. Statt Chiffre moderner Telekommunikation zu sein, lautet das mausgraue Konzept der Telekom: Nur nicht auffallen! Das Telefonieren sieht die Telekom nicht als Fortschritt, der sich in den Kabinen hätte niederschlagen können. Details wie rasant geschwungene Dachformen, dynamisch geformte Ausstattung und eine größere Fläche in einer neu gestalteten Zelle, wie sie etwa Günter Behnisch für den Wettbewerb 1986 entwarf und die in der gleichnamigen Ausstellung im Martin-Gropius-Bau derzeit zu sehen ist, hat man verzichtet.

Bei der gegenwärtigen Renovierung setzte man eher auf kommunikative Lethargie. Rolf Lautenschläger