Mathematiker der Farben

■ Skandalöse Ausstellung zum 85. von Max Bill

Drei Bretter über Eck und in der Mitte ein Rundholz: An Schlichtheit ist der Hocker, den Hans Gugelot, Paul Hildinger und Max Bill 1954 für die Ulmer Hochschule für Gestaltung entwarfen, kaum zu übertreffen. Gedacht war das kastenartige Gestell als Allzweckmobiliar, als Stuhl oder Tischchen, als Rednerpult oder Regalelement. Das „haarsträubende Möbelstück“ (Hildinger), das seit 1975 von einer italienischen Firma nachgebaut wird, markierte einen Neuanfang, die Wiederaufnahme der Bauhaus- Tradition, und stand damit für eine Idee: die Symbiose von Ästhetik und funktionaler Form.

Im Mies-van-der-Rohe-Haus in Berlin-Hohenschönhausen, einem Backsteinbungalow, den der Architekt und zeitweilige Bauhaus- Direktor 1932 für die Publizisten Magda und Karl Lemke baute und der seit 1990, wie es im Beamtenjargon heißt, „kulturell genutzt“ wird, kann man die asketische Sitzgelegenheit jetzt wiedersehen. „Dokumente und Druckgrafik“ lautet der Titel der kleinen Ausstellung, die dort anläßlich des 85. Geburtstages Max Bills eingerichtet wurde und „Einblicke in das Werk und die Kunstphilosophie“ des Jubilars verspricht. Immerhin ist es, zumindest in Berlin, die einzige Veranstaltung zu Bills Ehren.

1908 als Sohn eines Bahnbeamten in Winterthur geboren, absolvierte Max Bill zunächst eine Lehre als Silberschmied an der Kunstgewerbeschule in Zürich, ging dann, 19jährig, ans Bauhaus und ließ sich drei Jahre später in der Schweiz als Architekt nieder. 1932 trat er der Pariser Künstlervereinigung Abstraction-Création um Theo van Doesburg, Naum Gabo und Georges Vantongerloo bei. Darüber hinaus profilierte er sich als Theoretiker und Publizist.

Unter den Malern war und ist Max Bill der Mathematiker. Wie kein anderer hat er in seinen Bildern Farben und Formen als aufeinander bezogenes, logisch nachvollziehbares System angelegt. Seine Gemälde tragen Titel wie „kompression 4:3:2:1“ (1960), „feld aus zweiunddreissig teilen in vier farben“ (1965) oder „rotation um weisse kerne“ (1971–72). Erstmals gab Bill in den dreißiger Jahren einer Zeichnung, einem feinen Liniengeflecht, den Namen „konstruktion aus der formel a2 + b2 = c2“. Gemeinsam ist diesen Werken die Suche nach Klarheit, nach einer allgemeingültigen Formensprache. Bill fand sein künstlerisches Esperanto in der Konkretion, dem „reinen Ausdruck von harmonischem Maß und Gesetz“. In den „fünfzehn Variationen über ein Thema“ von 1936–38 beispielsweise spielte er, ausgehend von einer geometrischen Grundsituation, exemplarisch fünfzehn mögliche Modifikationen der künstlerischen Gestaltung durch und lieferte die Erklärung der vorgenommenen Schritte und Ableitungen in einem begleitenden Text gleich mit. Für den Eidgenossen war die Absage an jedwede Emotion und persönliche Handschrift eine Entscheidung, die einer Ethik gleichkam: „konkrete kunst ist in ihrer eigenart selbständig, sie ist der ausdruck des menschlichen Geistes, für den menschlichen Geist bestimmt, und sie sei von jener schärfe, eindeutigkeit und vollkommenheit, wie dies von werken des menschlichen geistes erwartet werden muß“, schrieb er 1949 im Katalog zur Ausstellung „Züricher Konkrete Kunst“.

Schärfe und Eindeutigkeit bestimmen seine Kompositionen bis heute. Die Ölgemälde und Zeichnungen werden dominiert von harten geometrischen Mustern, von exakt berechneten Farbvaleurs. In ihrer Aufteilung in Dreiecke, Rauten und Quadrate erinnern sie an die Präzision von Diamantenschliff. Oft sind sie auf die Spitze gestellt, was die latent vorhandene spiralförmige Dynamik noch verstärkt. Die Monotonie seiner Methode machte Bill immer wieder durch verblüffenden Einfallsreichtum wett. Zur selben Zeit wie die „fünfzehn Variationen“ entstanden, angeregt durch Constantin Brancusis „Endlose Säule“, Plastiken wie „Endlose Schleife“, „Konstruktion aus 30 gleichen Elementen“ oder, etwas später, „Malerei in Form einer Säule“. Von den wenigen Gebäuden, die Bill geplant hat, sind der in den frühen fünfziger Jahren kühne Entwurf der Ulmer Hochschule für Gestaltung (1951–1955) und das Studio und Verwaltungsgebäude von Radio Zürich (1964–1974) die bekanntesten.

Wer nun auf der Suche nach dem Allroundkünstler nach Hohenschönhausen gefahren ist, muß sich erst einmal auf einen herben Schrecken gefaßt machen. Die Vielseitigkeit, die Bills Werk ausmacht, wird in dem niedrigen, lichtdurchfluteten Backsteinbau Mies van der Rohes bestenfalls ansatzweise deutlich. Die Anzahl der Originale ist mager: drei Gemälde und eine kleine Plastik. An der Wand hängen eine Reihe von Druckgrafiken, ansonsten behalfen sich die Organisatoren der Ausstellung, man staune, mit ungefähr zwanzig Kunstdrucken in ziemlich erbärmlicher Kalenderblattqualität, durch die eigenhändige Signatur Bills angeblich im nachhinein autorisiert.

Ebenso beschränken sich die vollmundig versprochenen „Dokumente“ auf einen knappen Lebenslauf, ein paar Fotos und die Auflistung der Ehrenpreise, die Bill im Laufe der Zeit verliehen wurden. Entsprechend gering ist der Informationsgehalt. Kein Wort erfährt man über die Ulmer Zeit Bills, über die Zwistigkeiten mit Otl Aicher und Toms Maldonado und seine Demission als Rektor. Kein Wort über Bills eigene Texte und Theorien. Ebenso unerwähnt bleiben Besuche in der damaligen DDR, wo er 1987 in Weimar eine große Retrospektive hatte.

Dies allein dem Bezirksamt Hohenschönhausen als dem Veranstalter anzulasten, wäre indes zu billig. Immerhin wurde die Ausstellung von so renommierten Institutionen wie der Stiftung Pro Helvetia und der Akademie der Künste unterstützt. Daß diese Kooperation nur ein solch mangelhaftes Resultat hervorbringen konnte, ist der eigentliche Skandal an dieser mißglückten Geburtstagsschau. Die Berliner Akademie der Künste, deren Mitglied Bill immerhin ist, hätte sich zu schneller, unbürokratischer Hilfe durchringen, das Berliner Bauhaus-Archiv mit Leihgaben einspringen sollen. So ist diese Ausstellung ein Armutszeugnis. Ulrich Clewing

Bis 13.2., Di.–Do. 13–18 Uhr, Sa/So 14–18 Uhr, Mies-van-der- Rohe-Haus, Oberseestraße 60, Hohenschönhausen.