Mißlich gewirtschaftet

■ Grüne bilanzieren zehn Jahre S-Bahn: Fehler, Versäumnisse und Ideologie führten zu Mehrkosten und Verschlechterungen

Der Westberliner Teil der S-Bahn hätte am kommenden Sonntag sein zehnjähriges Bestehen feiern können. Denn am 9. Januar 1984 hatte das Land (West)- Berlin die Betriebsrechte von dem damaligen Betreiber, der Deutschen Reichsbahn (DR), übernommen. Zu diesem Jubiläum kommt es nun nicht mehr, weil am 1. Januar Berlin die S-Bahn an den Nachfolger der DR, die Deutsche Bahn AG (DB AG), zurückgegeben hat. Daß heute das S-Bahn- Angebot sehr viel besser aussehen könnte, wenn Senat und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) das Netz nicht durch Fehler, Versäumnisse und ideologische Entscheidungen heruntergewirtschaftet hätten, daran erinnerte gestern Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ Grüne.

Sofort nach der Übernahme ließ der Senat von den damals noch befahrenen 72,6 Kilometern 51 Kilometer stillegen. Weil Zehntausende Berliner dagegen demonstrierten, wurden dann doch wieder 50 Kilometer aktiviert. Weitere Inbetriebnahmen hätten Verkehrssenator Wronski, sein Abteilungsleiter Wuttke und BVG-Direktor Döpfer dann aber mit dem Argument verhindert, erst müsse ein neues Signalsystem von Siemens eingeführt werden. Alle drei waren zuvor bei dem Privatunternehmen beschäftigt gewesen. Das Zugsicherungssystem ist bis heute nicht auf dem Markt.

Konkurrierende Projekte wie parallel verlaufende U-Bahn-Linien oder Schnellstraßen seien nicht zurückgestellt worden. So sei etwa an der zehnmal teureren U 8 ins Märkische Viertel weitergebaut worden, obwohl die S-Bahn dort sehr viel billiger hätte hinfahren können. Die U 8 ist bis heute nicht fertig. Auf einer geplanten S-Bahn-Trasse durch den Tegeler Forst sei eine Autobahn gebaut worden. BVG-Direktor Piefke habe verkündet: „Es ist billiger, jedem Fahrgast der S-Bahn einen VW zu schenken, als dieses System noch weiter in Betrieb zu halten.“

Cramer bemängelte, daß es unter dem rot-schwarzen Senat „bergab“ gehe. Es fehle die Planung für den Lückenschluß Neukölln und den Nordring, Bauarbeiten an der Strecke Schönholz-Tegel seien nicht begonnen, und das Planfeststellungsverfahren für die Verlängerung nach Hennigsdorf nicht eingeleitet.

Die Grünen befürchten, daß es mit der S-Bahn in Zukunft aber noch schlimmer kommt. Mit dem nicht auszuschließenden Verkauf der S-Bahn an eine Tochter des Automobilkonzerns Daimler- Benz würde Berlin um Jahre zurückgeworfen. Die DB AG müsse den Vertrag mit dem erfolglosen ehemaligen Olympia-Chef Axel Nawrocki sofort auflösen. Dirk Wildt