Für Willy, gegen Brigitte

Der Kabarettist Matthias Beltz über die Existenzpflicht der Satire. Verraten hat er sie  ■ Dieter Deul

„Gnade für niemand – Freispruch für alle“ so lautete der Titel eines Soloprogramms des Frankfurter Kabarettisten Matthias Beltz aus dem Jahre 1990. Dieses Motto interpretierte die taz so: Es gebe „kein anderes Prinzip, die Ungerechtigkeit der Welt in Heiterkeit aufzulösen, als mit einer solchen Strafrechtsreform im Sinne des dialektischen Kabarettismus“. Nun schickt sich Beltz an, auch das Fernsehen in diesem Sinne zu reformieren. Die ARD zeigt ab heute drei Folgen seines „fröhlichen Standgerichts“. Natürlich zur gebotenen späten Stunde (23.25 Uhr) und bei entsprechender Kürze (25 Minuten).

taz: Mit Ihrer Satire-Talk-Show „Freispruch für alle“ betreten Sie TV-Neuland. Was soll das?

Matthias Beltz: Was mich interessiert, ist Kabarett mit Nichtkabarettisten zu machen. Politik und normales Entertainment sind ja zwei verschiedene Arten des Showgeschäfts. Das schönste Treffen war das von Hans Eichel und Roberto Blanco. Das spannendste war das Treffen von Karl Eduard von Schnitzler und Maxim Biller – wobei witzig war, wie innerhalb einer halben Stunde die Sympathie des Publikums von Biller auf Schnitzler übergegangen ist. Das ist bei Polemikern oft so. Zum Beispiel bei Wolfgang Pohrt: Live ist der nur giftig. Es fehlt die Eleganz.

Warum laden Sie dann ausgerechnet Heinz Schenk ein?

Der ist für mich der Erfinder des Senioren-Punkfernsehens. Das ist wie drei Akkorde spielen in der Unterhaltung.

Und Heidemarie Wieczorek- Zeul?

...steht für die SPD und damit für Melancholie & Komik.

Ihre Wunsch-Paarung?

Theo Waigel und Peter Alexander.

Wie geht es eigentlich der ARD?

Wie den Staatstheatern – der Gewerkschaftsgedanke: Alle Menschen werden nicht Brüder, sondern Beamte. Die Alternative „hire & fire“ ist allerdings auch ungemütlich.

Also alles real, irreal, ganz egal?

„Legal, illegal, scheißegal“ hat sich auch als nicht tragfähig erwiesen – das wird mittlerweile von der Bundesregierung übernommen. Sinndiebe! Seit die Postmoderne auch politisch anfing zu toben, wird immer mehr die Wirklichkeit als Kabarett gesehen. Sehr schädlich hat das Wort von der „Real- Satire“, das der Hildebrandt aufgebracht hat, gewirkt. Das ist, als wenn man etwas als Realtragödie bezeichnen würde: „die schuldlosen Opfer der Hochwasserkatastrophe“. Es gibt eine Realität, die ist vielleicht tragisch oder komisch, aber nicht satirisch.

Sie waren Jurastudent, Hausbesetzer, machten für den SDS Straßentheater und nennen Carl Schmitt ihren Lieblingsschriftsteller – wo sind Ihre Ideale geblieben?

Gerechtigkeit und das Utopische, von dem auch nicht zu lassen ist. Ich glaube aber, daß es eine nicht-rechtliche Regelung von Gesellschaft nicht gibt. Das Absterben des Staates in der Sowjetunion führt ja nicht unbedingt zu mehr Freiheit. Insofern ist das auch Schmitt, also ich glaube, daß der Naturzustand aller gegen alle eine Brutalisierung ist – bis hin zu ethnischen Kämpfen. Schmitts Folgerung „Der autoritäre Staat“ halte ich aber für absurd, denn wenn man davon ausgeht, daß es anthropologisch eine verbrecherische Tendenz im Menschen gibt, ist es natürlich Quatsch, die Hauptverbrecher an die Spitze dessen zu setzen.

Was reizt Sie an Ernst Jünger?

Ich finde das interessanter, was ich nicht kenne. Diese Betrachtungsweise ist mir fremder als die aus meiner eigenen Polit-Geschichte – das betroffene Moralisieren. Jünger kann einen erschrecken, aber er ist manchmal in der Beobachtung aufregender.

Solange die Deutschen jammern können, geht es ihnen gut?

Solange die Deutschen jammern, geht es ihnen zwar möglicherweise gut, aber es fängt an, gefährlich zu werden. Die Deutschen haben einen spezifischen Vorsprung darin, sich zu Opfern zu stilisieren – und das Opfer schlägt dann bösartig zurück. Selbst der größte Räuber sagt noch, daß er sein Recht durchsetzt.

In Philipp Grönings Film „Die Terroristen“ sagt die Revoluzzerin: „Das Herz des Deutschen ist seine Angst.“

Das klingt schön – da kann ich mit Michael Stürmer kommen, der bringt in diesem Zusammenhang immer die „europäische Mittellage“. „Deutschland ist umzingelt von anderen Völkern“ – das ist ein konservatives Standardbauelement, wenn es irgendwo Ärger gibt. Das ist noch aktuell – von Schäuble, der die Bundeswehr an die Oder setzen will, um Asylanten abzufischen, bis zu Schirinowski.

Gibt es dazu eine Alternative?

Im Sommer 1989 habe ich in mein erstes Solo-Programm die Formulierung reingebracht, Deutschland muß sich entscheiden zwischen Nationalsozialismus und politischem Katholizismus. Ich glaub, daß ich den Katholizismus etwas überschätzt habe. Es ist ein relativ unfröhlicher Nihilismus. Von der linken Perspektive war und ist ja nichts zu sehen.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Begegnung mit Baader und Ensslin?

Die hatten etwas draufgehabt, wie das „Negativ-Völkische“ – die Deutschen sollen sich selber umbringen. Aber es war damals eingebunden in eine internationalistische Vorstellung möglicher Weltveränderung. Dem gehörte anfangs meine Sympathie – aber es ist eigentlich größenwahnsinnig.

Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zum Renegaten machte?

Das wesentlichste war, daß das Proletariat tatsächlich nicht auf uns gewartet hatte, sondern auf den Feierabend – und die Rente. Ein anderes Erlebnis: Als wir 1975 die „Nelken-Revolution“ in Portugal besucht haben, haben die gesagt, wir kämen aus der Bundesrepublik, und das wär's, was sie auch wollten – ein bißchen Demokratie und Marktwirtschaft.

Haben das die DDR-Bonzen auch gemerkt?

Es gibt eine schöne Geschichte von Heiner Müller. Irgendwann in den Fünfzigern hat Johannes R. Becher ihn mitgenommen auf ein Haus in Ostberlin und gefragt: „Was siehst du da?“ „Lauter Lichter hinter den Fenstern“. Sagte der Becher: „Alles unsere Feinde.“ Müller war immer militant. Sein Buchtitel „Krieg ohne Schlachten“ ist übrigens ein Zitat von Sean Connery aus „Jagd auf Roter Oktober“.

Welche Werte gibt's noch?

Das ist die Frage der Transzendenz. Jeder Mensch hat das gleiche Lebensrecht und daß es ein Recht auf Staatsangehörigkeit gibt. In dem Moment, wo man einen großen Menschenrechtskatalog entwirft, kommt man in Teufels Küche, weil der eine Wert mit dem anderen konträr steht – zum Beispiel Freiheit und Gerechtigkeit. Die klarsten Rechtsvorstellungen bestehen immer nach einer Katastrophe. Je näher sie kommt, desto unklarer wird es. Alles deutet darauf hin, daß wir wieder in Vorkatastrophenzeiten leben – bis hin zur Historikerdebatte. Der alte Witz stimmt: „Sagt der Ossi zum Wessi: ,Wir sind ein Volk‘, und der Wessi antwortet: ,Wir auch‘“ – also mit dem Nationalen wird's auch nix.

Was fällt Ihnen zu „Nostalgie“ ein?

Schon vergessen – das war Anfang der Achtziger.

Melancholie?

Gut – und gesund.

Haß?

Wenn man den Haß stoppt, gibt es auch keine Liebe mehr.

Solidarität?

Gute alte Werte. Für Willy Brandt – gegen Brigitte Seebacher.

Ist Satire dann gut, wenn sie ärgert?

Der berühmte Kalauer von Karl Kraus: „Satire ist dann gut, wenn die Hälfte den Saal verläßt.“ Aber das kann man auch anders machen und seine Stinkbombe legen. Dadurch ist es noch nicht gut. Ich kann mich nur Gerhard Polt anschließen. Auf die Frage „Was beabsichtigen Sie mit Ihrer Arbeit?“ sagt der: „Damit ich Geld hab, um meinen Rotwein zu bezahlen.“

Muß Satire überhaupt sein – denken Sie an die ZuschauerInnen!

Oh, aber immer. Der Zuschauer ist mein natürlicher Feind. Satire hat eben doch eine Existenzpflicht.

Ihr ganz persönliches Motto?

Ja! – Einfach ja.