Greuel in den Bergen Mexikos

Bei den anhaltenden Kämpfen zwischen Armee und Indios in der Provinz Chiapas sollen über 400 Menschen getötet worden sein  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Die fünf von der „Zapatistischen Befreiungsfront“ besetzten Ortschaften im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas scheinen inzwischen von der Armee zurückerobert – dennoch liefert sich die indianische Guerilla mit dem Militär weiterhin Gefechte. Ein dramatischer Appell des Bischofs von San Cristóbal, Samuel Ruiz Garcia, die sich bekriegenden Armeen mögen die Waffen niederlgen und den Weg für Verhandlungen freimachen, ist bis zur Stunde ohne jede Antwort seitens der Aufständischen geblieben. Diese haben sich in der Nähe der guatemaltekischen Grenze zusammengezogen, wo rund tausend Zapatisten erneut eine Gemeinde unter ihre Kontrolle gebracht haben sollen.

Daß der bewaffnete Aufstand keinesfalls unter Kontrolle ist, zeigt schon die Tatsache, daß die militärische Mobilmachung anhält. Nachdem am Dienstag die ersten Bombardements auf mutmaßliche Guerillalager im Umland von San Cristóbal geflogen wurden, konnte auch am Mittwoch in verschiedenen Flughäfen des Landes der Start von Flugzeugen und Hubschraubern beobachtet werden. Das Aufmarschieren von Bodentruppen und das Rollen von Panzern in den krisengeschüttelten Bundesstaat reißt nicht ab.

Offiziell wurde die Zahl der Toten bislang bei 95 eingefroren, Nach Einschätzung von KirchenvertreterInnen übersteigt sie diese allerdings um ein Vielfaches: von mehr als 400 Toten ist inoffiziell die Rede. Aussagen von AnwohnerInnen zufolge werden an verschiedenen Orten nichtidentifizerte Leichen in Fahrzeuge und Hubschrauber verladen und mit unbekanntem Ziel entfernt. In der am Mittwoch zurückeroberten Stadt Ocosingo zählten Journalisten über hundert Leichen auf den Straßen, davon viele mit Kopfschüssen.

Schon am Dienstag war aus der Stadt ein grausiger Fund um die Welt gegangen: die leblosen Körper von fünf indianischen Guerilleros auf dem Marktplatz. Die Lage der Leichen läßt darauf schließen, daß die Angehörigen der Zapatistischen Front offensichtlich mit gefesselten Händen den sogenannten „Gnadenschuß“ erhalten hatten; Beobachter gehen davon aus, daß sie von Armeeangehörigen „hingerichtet“ wurden. Um unbequemen Unterstellungen über Menschenrechtsverletzungen durch die Streitkräfte vorzubeugen, hatten Beamte der Zentralregierung umgehend eine Autopsie verfügt und verkündet, daß – sollte sich der Verdacht einer militärischen Hinrichtung bestätigen – die Schuldigen „die volle Härte des Gesetzes“ treffen werde. Der mit der Untersuchung dieser und anderer Übergriffe beauftragte Präsident der Nationalen Menschenrechtskommission, Jorge Madrazo, war sofort zum Ort des Geschehens aufgebrochen. Das Ergebnis der Autopsie steht allerdings noch aus.

Trotz alledem: Der Sprecher der Landesregierung, Eloy Cantú, wird gegenüber Journalisten nicht müde zu betonen, daß es sich keinesfalls um einen „Krieg“ handele, sondern um „ein soziojuristisches Problem“. Auch dem Innenministerium ist es wichtig zu betonen, daß „man nicht von einer Guerilla sprechen kann“, da dieser Begriff nur zutreffen würde, wenn ein bestimmter Teil des Territoriums tatsächlich von einer solchen kontrolliert würde. Entsprechend werden die fast vierzig bislang verhafteten Guerilleros nicht nach Kriegsrecht, sondern nach gewöhnlichem Strafrecht abgeurteilt werden. Eine Amnestie wird von Sprechern des Innenministeriums kategorisch ausgeschlossen.

Die bislang unbewiesenen, aber weiterhin gezielt lancierten Gerüchte über die Beteiligung guatemaltekischer Befreiungsbewegungen könnten fatale Folgen für die traditionelle mexikanische Gastfreundschaft gegenüber den zahlreichen zentralamerikanischen Flüchtlingen im Land haben. Schon jetzt äußern VertreterInnen des Außenministeriums die Überlegung, man müsse die gegenwärtige Migrationspolitik „überprüfen“, um nicht „das Risiko einer sozialen Destabilisierung“ aus anderen Regionen zu importieren. Dagegen versicherte der Vorsitzende der Friedenskommission von Guatemala, Héctor Rosada – der in Mexiko-Stadt eingetroffen war, um am kommenden Donnerstag die Verhandlungen mit der guatemaltekischen Guerillafront URNG wiederaufzunehmen –, daß „bis zur Stunde keinerlei Beweise für die Präsenz von guatemaltekischen Gruppen in Chiapas“ vorliegen.

Die linke Oppositionspartei PRD warf dazu der Regierung vor, wie schon bei den Studentenunruhen 1968 die Ursachen für die Rebellion im Ausland und nicht in der „strukturellen Gewalt“ des eigenen Landes zu suchen. Zu befürchten sei, so der PRD-Präsidentschaftskandidat Cárdenas, daß die PRI den Konflikt als Vorwand für verstärkte politische Verfolgung nutzen wird und die für den kommenden August angesetzten Wahlen möglicherweise in einem „faktischen Ausnahmezustand“ stattfinden werden. Ähnliche Befürchtungen äußerte die rechte Oppositionspartei PAN.