Hoechst kämpft für Verpestung

In den Philippinen zieht der Chemiemulti gegen das Verbot von zwei Pestiziden vor Gericht / Umweltgruppen rufen zu Boykott des Konzerns auf  ■ Von Sven Hansen

Berlin (taz) – Der philippinische Senator Orlando Mercado hat zwei Klagen gegen die lokale Tochter der Frankfurter Hoechst AG eingereicht. Ziel des Politikers: Der Konzern soll eine Kaution für eventuelle Gesundheits- und Umweltschäden von umgerechnet 200 Millionen DM hinterlegen, bis ein Gerichtsverfahren um zwei von Hoechst vertriebene Pestizide entschieden ist. Mercado will damit den Behörden den Rücken stärken, die bisher vergeblich versucht haben, Pflanzengifte mit den Wirkstoffen Organotin und Endosulfan zu verbieten. Der Hoechst-Konzern, der die Gifte unter den Namen Brestan und Thiodan verkauft, hat bisher sämtliche Verbote mit juristischen Mitteln aussetzen können.

Brestan wird ursprünglich in Fischteichen und Bananenplantagen angewendet, Thiodan im Obst- und Gemüseanbau sowie in der Forstwirtschaft. In den Philippinen aber wurden beide Mittel in den letzten Jahren vor allem im Reisanbau gegen die goldene Schnecke eingesetzt. Diese Tierart war erst 1982 in den Archipel eingeführt worden, um Kleinbauern und Landarbeitern zusätzlich Einkommen und Nahrung zu verschaffen und so den Druck für eine Landreform zu mildern. Die damalige Präsidentengattin Imelda Marcos verspeiste die Schnecke höchstpersönlich vor laufenden Kameras. Doch kaum jemand fand Geschmack an dem sich rasant vermehrenden Tier, das sich aufgrund seines unstillbaren Hungers nach jungen Reispflanzen rasch zur Plage entwickelte.

Die Bauern griffen in ihrer Verzweiflung zuerst zu hohen Konzentrationen von Brestan, das jedoch für den Reisanbau nicht zugelassen war. Nachdem es im Oktober 1990 ein erstes Verbot gab – Brestan wurde für den Verlust von Finger- oder Fußnägeln sowie für Hautverätzungen verantwortlich gemacht – entwickelte sich Thiodan zum Bestseller. Nach Angaben des bei Hoechst in Frankfurt zuständigen Sprechers für den Bereich Landwirtschaft und Umwelt, Dr. Gerhard Waitz, ist Thiodan das in den Philippinen heute wohl meistverkaufte Pestizid. Waitz bestätigte Meldungen, die von einem Jahresumsatz von 300 Millionen Peso (etwa 18 Millionen DM) sprechen.

Der Thiodan-Wirkstoff ist ein chlorierter Kohlenwasserstoff. Er schädigt das Nervensystem und reizt Haut und Augen. Das Gefahrstoff-Handbuch „SAX“ rechnet Endosulfan sogar zu den krebserzeugenden und fruchtschädigenden Substanzen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft Thiodan in die Gefährlichkeitsstufe II und damit als „mäßig gefährlich“ ein.

Die philippinischen Hoechst- Anwälte Cesar Cruz und Jaime Padilla bezeichnen Thiodan als „relativ sicher, effektiv, nützlich und umweltfreudlich“. In Deutschland nennt die Hoechst AG Endosulfan in einer nach der Störfall-Verordnung herausgegebenen Broschüre „giftig, reizend und stark wassergefährdend“. In den Produktinformationen wird auch darauf hingewiesen, daß Thiodan nicht in der unmittelbaren Nähe von Gewässern angewendet werden darf. In den Philippinen wirbt der Konzern hingegen für Thiodan mit Schildern direkt in gefluteten Reisfeldern. Dazu Dr. Waitz: „Die Wassergefährdung bezieht sich auf die Fischgiftigkeit. In den Philippinen züchten die Bauern keine Fische in den Reisfeldern. Der Giftstoff wird innerhalb weniger Minuten inaktiviert, weshalb er keine Gefahr für die Gewässer darstellt.“ Auch gebe es in der Bundesrepublik andere Bewertungsmaßstäbe für Risiken. Was für gemäßigte Klimazonen gelte, müsse noch lange nicht für die Tropen zutreffen.

Als im April 1992 hohe Endosulfan- Konzentrationen in Lebensmitteln nachgewiesen wurden, wurde den philippinischen Behörden offenbar das Risiko zu groß. Sie verboten Thiodan. Hoechst ging als einzige der betroffenen Chemiefirmen vor Gericht. Per einstweiliger Verfügung wurde das Verbot außer Kraft gesetzt. Während darüber bis heute nicht entschieden ist, haben die Behörden am 29. September Brestan erneut ganz und die Thiodan-Anwendung im Reisanbau verboten. Darauf verklagte Hoechst Landwirtschaftsminister Roberto Sebastian und zwei hochrangige Behördenvertreter auf „Mißachtung des Gerichts“. Zwischenzeitlich hatte der Konzern noch eine Nachrichtenagentur und einen Arzt verklagt. Der hatte behauptet, Endosulfan sei krebserregend, worüber die Agentur berichtete. Während die Behauptung unter Wissenschaftlern umstritten ist, führte das Verhalten des Konzerns dazu, daß Umwelt-, Bauern- und Frauengruppen im September zum Boykott von Hoechst-Produkten aufriefen. Mit Senator Mercado hat Hoechst jetzt einen weiteren Gegner. Der Politiker erklärte: „Ich werde das Thema ansprechen, wann immer sich die Gelegenheit bietet.“

In Westdeutschland ist die Zulassung für Thiodan im Oktober 1991 ausgelaufen; für die neuen Bundesländer gilt eine Ausnahmeregelung bis Ende 1994.