Schwaben-Programm für den Wahlkampf

Dreikönigstreffen der FDP: Ehrlichkeit, Sparsamkeit, Bürgerbeteiligung und Eliten als Kontrastprogramm / Hamm-Brücher bleibt Kandidatin für das Präsidentenamt  ■ Aus Stuttgart Heide Platen

Die Schwäne auf dem Teich im Stuttgarter Schloßpark drängten sich im Nieselregen eng aneinander. Im dichtbesetzten, grausilbernen Großen Saal des Staatstheaters schien das den Menschen auf den Rängen auch ein Bedürfnis zu sein. Das klirrende, rollende „rr“ hing sichtbar in der Luft, als Bundesaußenminister Kinkel zum Abschluß des traditionellen Dreikönigstreffens der FDP schmetterte: „Wir müssen alle ins Geschirr.“ Kinkel schlug die Pflöcke ein für den Bundestagswahlkampf, die seine Parteifreunde am Tag zuvor beim Landesparteitag in Baden- Württemberg schon markiert hatten. Die ParteifreundInnen dankten es ihm immer wieder mit heftigem Beifall. Und er hämmerte ihnen die vermißte Orientierung mit launigen Einlagen ein: Handeln, nicht nur reden, dabei aber dem Bürger mehr vermitteln, ihn mehr beteiligen, weniger Bürokratie, ehrlich sein, die Wahrheit sagen, zum eigenen Worte stehen. Das schien den bloßliegenden Nerv der mittelständischen Parteibasis haargenau zu treffen.

Zuerst einmal aber standen sie auf, um der Kandidatin begeistert zu applaudieren: Hildegard Hamm-Brücher for president! Überhaupt waren es nicht die politischen Tugenden, die Kinkel beschwor, die ihnen das Herz wärmten, sondern die alten PolitikerInnen. Hildegard Hamm-Brücher, in die Mitte genommen von Klaus Kinkel und Hans-Dietrich Genscher, dazu Blumen, das spendet Hoffnung und gibt neues Selbstbewußtsein. Da ist auch Papa Heuss posthum dabei. „Mädle“, hat der zu Hamm-Brücher gesagt, „Sie müsset in de Politik!“ Das „Mädle“ freut sich. Die FDP steht, zumindest gestern, hinter ihrer Kandidatin. Kinkel: „Sie sind eine große Liberale! Wir brauchen Sie, wir bauen auf Sie, auf unsere Unterstützung können Sie bauen.“

Den Umbau der Gesellschaft liberaler Prägung hatte vorher Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt skizziert. Er fand seine Partei trotz „Sterbeglocken“ „putzmunter und selbstbewußt“ und wetterte gegen Verzagtheit und pessimistischen Zeitgeist. Er forderte statt dessen Innovation und neue Eliten, tadelte Besitzstandswahrung bei Unternehmern und Gewerkschaften gleichermaßen, schalt Presse, Opposition und Koalitionspartner. Ungefähr in der Mitte seiner Rede machte er sich stark für Gentechnologie, Teststrecken für Schnellbahnen, Reaktortechnik und sprach sich gegen eine Entwicklung aus, bei der „der Krötenwanderweg wichtiger ist als eine neue Industrieansiedlung“. Allerdings habe sich die Großindustrie, „die Herren, die sich so gern über andere erheben“, auch nicht „mit Ruhm bekleckert“, wenn es um Flexibilität gehe. Das hört der Mittelstand im Saal sehr gerne, denn „er wird das Rückgrat unserer Wirtschaft bleiben“.

Erstaunlich viel Zustimmung erhielt der Vorsitzende der FDP- Landtagsfraktion Baden-Württemberg, Walter Döring, für sein 13-Punkte-Programm, der „Die Krise als Chance“ empfahl. Bezogen auf sein Bundesland, das betonte er, gebe es zu viele Ministerien, Abgeordnete, Verwaltungen, Vorschriften, Gesetze. Auch zu viele Bundesländer. Welche er allerdings in „angemessener Zahl leistungsfähig“ zur Stärkung des Föderalismus zusammenlegen wolle, sagte er nicht. Die Forderung nach einer Verminderung der Anzahl verschiedener Steuern löste zuerst vorsichtigen, dann heftigeren Beifall aus: „Die Abschaffung einer Steuer ist die beste Form der Steuervereinfachung.“

Klaus Kinkel richtete den profilsuchenden Blick der Basis scharf auf den Bonner Koalitionspartner. Zum Kompromiß Pflegeversicherung wird gestanden, zum Europa der Bundesstaaten auch, zum Großen Lauschangriff nicht: „Er nimmt zu viel und gibt zu wenig.“ Innere Meinungsfreiheit in der FDP sei dazu zugelassen. Den Einsatz der Bundeswehr zur inneren Sicherheit, den CDU-Fraktionschef Schäuble gefordert hatte, lehnt die FDP kategorisch ab, die Streichung zweier Feiertage ist ihr recht. Wahlkampfthemen sollen vor allem die Angst vor Arbeitsplatzverlust und Kriminalität sein. Kinkel favorisierte außerdem sein Modell des „Bürgergeldes“: „Heute zahlen mehr als 40 Behörden über 90 Geld- und Sozialleistungen aus.“ Seine Alternative: „Bei hohem Einkommen sollen der Bürger Steuern zahlen, bei geringem Einkommen erhält er Bürgergeld.“ Dazu brauche es aber trotz Chancengleichheit eine Förderung der Eliten, „Facharbeiter, Meister, Universitätsprofessoren“, die „die Körbe erst füllen, ehe sie verteilt werden können“. Das gefiel den Häuslebauern in Stuttgart ganz besonders gut.