■ Kolumne
: Pein-Weh durch Schlagfertigkeits-Delay

Es bringt das Älterwerden mit sich, daß die inneren Organe nicht mehr hundert Prozent Leistung bringen. Das gilt leider auch für das Gehirn. So muß ich an mir selber feststellen, daß mir heutzutage die Bonmots nicht mehr so blitzschnell von der Zunge fliegen wie in meiner Jugend. Länger und länger dauert es, bis ich mir den passenden Satz zusammengebaut habe. Da ich überdies schon immer in Zuständen besonderer Erregung - wo ein schneller Kommentar besonders erfordert ist - weniger wortgewandt war, als in der Entspannung, unterlaufen mir heutzutage in solchen Situtionen regelmäßig verbale Peinlichkeiten. Ein Beispiel: “Du hast keine Ahnung! Der ist jetzt wieder total angesagt!“ - Ein saublöder Satz, nicht? Und doch muß ich gestehen, ihn ausgesprochen zu haben. Ich war mit einem Freund zusammen Comics kaufen (in Berlin, im „Groben Unfug“, sicherlich einer der besten Comicläden Deutschlands). Dieser Freund, wir wollen ihn hier mal Fis nennen, hatte früher leidenschaftlich Comics gesammelt. In der letzten Zeit hatte sein Interesse jedoch nachgelassen. Verständlich, da er zu faul ist, in fremden Sprachen zu lesen (auch wenn er sie beherrscht) und folglich auf die zu 97% unerträglichen deutschsprachigen Veröffentlichungen angewiesen ist. Ich hatte mir unter anderem zwei sehr schöne Alben von Robert Crumb gekauft - „My Trouble With Women“ und „The Complete Dirty Laundry“ -, was Fis zu dem verächtlichen Kommentar veranlaßte: „Dafür interessiert sich doch kein Mensch mehr.“ - Ich ärgerte mich gleichermaßen über die Ignoranz gegenüber Crumb wie über die Annahme, es würde irgendetwas über die Interessantheit eines Dings aussagen, daß sich möglichst viele andere Menschen dafür interessieren. Hier hätte meine Antwort die Schärfe eines frisch geschliffenen Schwertes haben müssen. Stattdessen die oben aufgeführte Doofheit.

Was meine Gedanken unweigerlich zu dem schwachbesuchten Commander-Cody-Konzert im Dezember 1986 in der Großen Freiheit 36 führt. Nicht viele Leute waren dort, aber auffallend viele echte Charakterköpfe hatten Codys wegen mal wieder ihre hochherrschaftlichen Rattenlöcher verlassen. Von dem verdienten Musikjournalisten a.D. Jörg Gülden (ein Schulkamerad von Günter Netzer) ließ ich mir Funktion und Lebensgeschichte des einen oder anderen vielversprechend zerfurcht ausssehenden Konzertbesuchers (Lebensgeschichte) in Stichworten referieren. Später traf ich Gülden auf dem Klo wieder und während wir, an der Pißrinne stehend, über die Qualität der Cody-Darbietung debattierten, wurde Gülden von einem besonders pittoresken Exemplar gegrüßt, mit tausendjährigem Wuschelbart und einem Gesicht wie ein Reliefkarte des Amazonas-Deltas. „Was war denn das nun schon wieder für ein legendärer Typ?“ fragte ich Gülden. Es war Harry Rowohlt, Verlagserbe und heute wohlangesehen als Autor und Male Model. Warum ich das in diesem Zusammenhang erwähne? Rowohlt ist seit vielen Jahrhunderten deutscher Übersetzer von Crumb. Seine Übersetzungen sind ziemlich gut. Nur gibt es viele der besten (neueren) Crumb-Arbeiten noch nicht auf deutsch (zum Problem der doofen deutschen Comicverlage s.o.).

An dieser Stelle folgt ab sofort immer mein Lieblingslied des Monats. Diesmal: „Meu Guri“ von Chico Buarque (von der LP „Almanaque“, 1980, gerade auf CD wiederveröffentlicht).

Detlef Diederichsen